Wie hoch darf der Blutdruck im Alter sein?

Mehr Schaden als Nutzen: Ein nach Leitlinien gesenkter Blutdruck im Alter oder nach Schlaganfall erhöht das Sterberisiko um bis zu 60 Prozent
Bluthochdruck ist eine Volkskrankheit. Im Alter ist die sogenannte Hypertonie weit verbreitet. Zwei von drei der über 70-Jährigen haben einen zu hohen Blutdruck. Da dadurch langfristig lebensbedrohliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall auftreten können, empfehlen die aktuellen europäischen Leitlinien, den Blutdruck bei über 65-Jährigen auf unter 140/90 mmHg einzustellen.
Diese Zielwerte gelten auch für über 80-Jährige, bei ihnen sind jedoch verstärkt individuelle Faktoren wie Begleiterkrankungen zu berücksichtigen. Anders in den USA: Dort empfehlen die Leitlinien neuerdings eine Senkung des Blutdrucks auf unter 130/80 mmHg bei älteren Menschen. Über die richtigen Zielwerte wird aktuell heftig debattiert.
Leitliniengerechte Behandlung erhöht bei über 80-Jährigen das Sterberisiko
Die „Berliner Initiative Studie“ der Charité stellt beide Zielwerte für Hochbetagte in Frage: Wie die Wissenschaftler um Dr. Antonios Douros im „European Heart Journal“ schreiben, hat die medikamentöse Senkung des Blutdrucks auf unter 140/90 mmHg – und insbesondere auf unter 130/90 mmHg – nicht grundsätzlich eine schützende Wirkung. Im Gegenteil: Bei Menschen, die älter als 80 Jahre sind oder die bereits einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt hatten, steigt das Sterberisiko demnach sogar an.
Die Erkenntnisse basieren auf einer Beobachtungsstudie, bei der die epidemiologischen Daten von mehr als 1.600 Frauen und Männern analysiert wurden. Die Teilnehmer waren zu Studienbeginn im Jahr 2009 mindestens 70 Jahre alt und bekamen eine blutdrucksenkende Behandlung. Die Analyse ihrer Daten ergab, dass die über 80-Jährigen, deren Blutdruck bei unter 140/90 mmHg lag, ein um 40 Prozent höheres Sterberisiko hatten als diejenigen mit Blutdruckwerten über 140/90 mmHg.
Schlaganfallpatienten leben länger mit höherem Blutdruck
Ein ähnliches Bild zeigte sich bei den Studienteilnehmern, die in der Vergangenheit einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erlitten hatten: Bei denjenigen, deren Blutdruck bei unter 140/90 mmHg lag, stieg das Sterberisiko sogar um 61 Prozent im Vergleich zu denjenigen, deren Blutdruck trotz der medikamentösen Behandlung oberhalb dieses Grenzwertes blieb. „Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass die Behandlung eines erhöhten Blutdrucks bei diesen Patientengruppen individuell angepasst werden sollte“, erklärt Dr. Antonios Douros vom Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité. Der Erstautor der Studie betont: „Wir sollten davon abkommen, die Empfehlungen der Fachgesellschaften pauschal bei allen Patientengruppen anzuwenden.“
Blutdrucksenkung nützt nicht allen
Die Daten stammen aus der „Berliner Initiative Studie“, die 2009 von der Charité ins Leben gerufen wurde. Eigentliches Ziel dieser Studie ist die Entwicklung der Nierenfunktion von rund 2.000 älteren Patientinnen und Patienten zu beobachten. Im nächsten Schritt wollen die Forscher herausfinden, welche Patientengruppen von einer Blutdrucksenkung tatsächlich profitieren. Derzeit scheinen gleiche Zielwerte für alle als fraglich.
Foto: pixabay