„Sehen immer wieder schwere Verläufe von Affenpocken“

Infektiologe Hartmut Stocker wünscht sich mehr Impfstoff gegen Affenpocken: Chance, dass der Ausbruch unter Kontrolle kommt – Foto: @ Manuel Tennert
Herr Dr. Stocker, Sie behandeln an Ihrer Klinik Menschen, die an Affenpocken erkrankt sind. Wie sieht Ihre vorläufige Bilanz aus? Wie schwer krank sind Ihre Patienten?
Stocker: Die meisten Patienten benötigen keine stationäre Behandlung. Das ist der beruhigende Aspekt. Auch das Risiko, an einer Hirn- oder Lungenentzündung zu erkranken oder an Affenpocken zu versterben, lässt sich aus den bisher verfügbaren Daten nicht ablesen. Ganz schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle sehen wir also glücklicherweise nicht, wohl aber immer wieder schwere Verläufe.
Schwere Verläufe äußern sich wie?
Stocker: Das eine Problem sind unerträgliche Schmerzen, die die Pocken verursachen, hauptsächlich an den Eintrittsstellen. Da, wo die Infektion überragen wurde, ist es häufig ganz besonders schlimm. Und das Zweite sind bakterielle Superinfektionen, meist an der Haut oder an Weichteilgewebe. Das bedeutet, dass die Pocke die Barriere der Haut durchbricht und an dieser Stelle Bakterien eine Eintrittspforte bietet. Bei nicht wenigen Betroffenen reicht eine antibiotische Behandlung dann nicht aus, sie müssen operiert werden, damit der Eiter abfließen kann. Der Chirurg ist hier oftmals der beste Infektiologe.
Gehen wir einen Schritt zurück. Pocken sind sichtbar und dennoch stecken sich viele Menschen an. Kann es sein, dass Betroffene schon vor Symptombeginn infektiös sind?
Stocker: Die wichtige Frage, ob Patienten bereits vor der klinischen Symptomatik ansteckend sind, werden wir sicher in den nächsten Wochen und Monaten beantworten können. Die Vermutung geht aber in diese Richtung, weil auch die Schleimhäute virushaltiges Material enthalten. Und jemand, der mit Pocken übersät ist, der hat in der Regel auch keinen engen Kontakt zu anderen Menschen mehr. Im Übrigen scheint es auch einige Menschen zu geben, die gar kein Symptome entwickeln und trotzdem das Virus tragen und ausscheiden und damit sehr wahrscheinlich auch infektiös sind. Das hat kürzlich eine Untersuchung an Personen gezeigt, die wegen anderer sexuell übertragbarer Krankheiten in Behandlung waren. Die Abstrichproben hat man zusätzlich auf das Affenpockenvirus untersucht und festgesellt, dass ein Teil dieser Kohorte positiv war. Die meisten Fälle sind aber schon symptomatisch.
Gibt es denn neue Erkenntnisse, wie es zu dem aktuellen Ausbruch gekommen ist?
Stocker: Die Erkrankung war schon immer da. Und weil bislang vor allem Menschen in Afrika betroffen waren, stand sie bei uns nicht im Fokus. Aber es ist bei allen Infektionskrankheiten so, dass sie von einem Gebiet zum anderen springen und sich dort plötzlich explosionsartig ausbreiten. Insofern ist der aktuelle Ausbruch infektionsepidemiologisch gesehen nichts Besonderes. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass niemals eine Bevölkerungsgruppe Schuld daran trägt.
Sie spielen auf Männer, die Sex mit Männern haben, an?
Stocker: Momentan sind hauptsächlich MSM betroffen, aber es darf nicht sein, dass schwule Männer jetzt gebrandmarkt werden. Ich erinnere ans Mittelalter, wo man Juden bezichtigte, durch Vergiftung von Brunnen, die Pest zu verbreiten, um damit ihre Verfolgung zu legitimieren. Das Instrumentalisieren von Infektionskrankheiten hat noch nie in der Geschichte einen Ausbruch begrenzt, es ist einfach nur dumm. Viren suchen sich immer ihre Nischen in der Welt. Und die Vermutung liegt nahe, dass sich das Affenpockenvirus auch in anderen Bevölkerungsgruppen verbreiten wird. Nehmen Sie HIV – das ist heute eine absolut heterosexuelle Pandemie.
Sehen Sie eine Chance, den Ausbruch mit Impfungen unter Kontrolle zu bringen, so dass hoffentlich keine Pandemie daraus wird?
Stocker: Wir haben das Problem, dass es im Moment viel zu wenig Impfstoff gibt. Das liegt wirklich nicht am fehlenden Willen der Politik, sondern schlicht an den Produktionskapazitäten und den verfügbaren Impfdosen. Wenn wir mehr produzieren und mehr impfen könnten, wäre das sicherlich eine gute Chance, den Ausbruch unter Kontrolle zu bekommen. Allerdings gibt es noch viele Fragezeichen. Wir wissen ja noch gar nicht, ob der Impfstoff wirklich vor Affenpocken schützt, wie viele Impfdosen notwendig sind, wie hoch der Schutz ist und so weiter. Denn der Impfstoff wurde für den militärischen Einsatz gegen Pocken entwickelt, für Affenpocken wurde er gar nicht am Menschen evaluiert. Es gibt zwar gute Gründe von einer Wirksamkeit auszugehen, denn bei Pocken ist es in der Regel so, dass die Impfung eine Kreuzaktivität besitzt, also auch vor verwandten Pockenviren wie eben das Affenpockenvirus schütz. Aber zur Wahrheit gehört: Wir wissen es nicht.
Dennoch scheint die Nachfrage nach der Impfung enorm zu sein…
Stocker: Die Impfbereitschaft ist extrem hoch. Bei uns stehen seit Wochen die Telefone nicht mehr still. Allein per E-Mail bekommen wir täglich rund 300 Anmeldungen für die Impfung – haben an unserer Klinik aber nur 300 Impfstoffdosen zu Verfügung. Sie können sich vorstellen, wie schwierig das ist.
Nach welchen Kriterien verteilen Sie?
Stocker: Im Moment versuchen wir, denen ein Angebot zu machen, die die Impfung am dringendsten benötigen, also vor allem immunsupprimierten Personen. Das ist die eine Gruppe. Und in der anderen wird nach einem gerechten Verfahren ausgelost. Ich denke, wir haben das in Berlin sehr gut gelöst. Da wird keine Praxis benachteiligt, keine Uniklinik oder Zentrum bevorzugt. Nur wissen wir nicht, wann Impfstoff nachkommt. Das ist wie gesagt kein Versagen der Politik. Der Berliner Senat hat sich bemüht, sehr schnell eine Lösung zu schaffen, und dafür gekämpft, mehr Impfstoffdosen zu bekommen – mit Erfolg. Nur reichen die 8.200 Dosen in Berlin halt bei weitem nicht aus. Das tut uns extrem leid. Wir brauchen mehr davon, und wir werden auch mehr bekommen.
Was passiert, wenn sich herausstellt, dass die Impfung gar nicht vor Affenpockeninfektionen schützt?
Stocker: Dann wird man sich eine andere Strategie überlegen müssen. Aber zunächst brauchen wir belastbare Daten. Ich kann darum nur an alle Geimpften und Impfwilligen appellieren, sich der Evaluierungsstudie anzuschließen, die von der Charité entwickelt wurde und in allen Zentren angeboten wird. Auch diejenigen, die noch nicht geimpft werden konnten, sollten sich im Rahmen der Studie beobachten lassen – damit wir verstehen, was die Impfung wirklich bringt.
Und wie sieht es mit anderen Schutzmaßnahmen aus? Aufklärungskampagnen etwa oder Kondome?
Stocker: Auf der Aufklärungsebene wird einiges getan. Die Aidshilfen haben sich hier klar positioniert. Nur sind Empfehlungen das eine, und das andere ist die Lebensrealität. Mein Rat wäre: Bleibt vorsichtig und seid Euch bewusst, dass Kondome vielleicht nicht die Infektion verhindern, aber möglicherweise Körperteile vor einer besonders schlimmen Infektion schützen, die einem besonders wichtig sind.