Virologe: Es könnte zu einer Veränderung im Affenpockenvirus gekommen sein

Der Virologe Prof. Stephan Ludwig Universitätsklinikum Münster über die Gefahr von Affenpocken und den Schutz durch die Pockenimpfung – Foto: © WWU-UKM
Noch sind es wenige Fälle und noch kann von einer Epidemie keine Rede sein. Affenpocken-Infektionen breiten sich seit Anfang Mai weltweit aus. Warum das jetzt jenseits von Afrika passiert, wo das Affenpockenvirus seit vier Jahrzehenten endemisch ist, gibt der Wissenschaft Rätsel auf. Es gibt viele Vermutungen, die aber noch nicht wissenschaftlich geprüft sind.
Prof. Stephan Ludwig ist Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Münster) und koordiniert an seinem Institut die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen – kennt sich also bestens aus mit Erregern, die eigentlich im Tier entstanden sind. Er nennt eine Vermutung, warum jetzt weltweit so viele Fälle neu auftreten.
Veränderungen im Virus könnten den Menschen empfänglicher machen
„Viren verändern sich, auch wenn ein Pockenvirus genetisch stabiler ist als beispielsweise ein Corona- oder ein Grippevirus“, sagt er. „Es könnte zu einer Veränderung im Affenpockenvirus gekommen sein, die Menschen plötzlich empfänglicher werden lässt für diese Viren.“ Deswegen sei es wichtig, dass sich Infizierte insbesondere auch von Tieren isolieren, damit der Mensch das Virus nicht an eine andere Tierart zurückgebe. Das, so Ludwig, „wäre in der Tat eine Übertragung, die sich als gefährlich erweisen könnte.“
Es kann jede und jeden treffen
Trotz Mensch-zu-Mensch-Übertragung rechnet der Experte aber nicht mit einer neuen Pandemie. Die Übertragung des Affenpockenvirus erfolge über Körperflüssigkeiten oder über engen Kontakt von Personen. „Es handelt sich, soweit bisher bekannt, nicht um einen aerosolisch übertragbaren Erreger“, betont Ludwig. Tröpfcheninfektionen seien selten und passierten dann, wenn sich im Mund Pusteln bilden und damit die Viren dann im Speichel sind.
Es sei jedoch absolut nicht angebracht, die Übertragbarkeit des Virus nur auf Männer zu reduzieren, die Sexualverkehr mit anderen Männern haben. So wie bei den ersten AIDS-Infektionen in den Achtzigern könne es „jeden und jede treffen.“
Bakterielle Co-Infektionen können tödlich sein
Affenpocken-Infektionen verlaufen in der Regel mild. Die Infektion äußert sich durch klassische Erkältungssymptome wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Das spezifische Merkmal sind Läsionen auf der Haut, also Flecken und Pusteln. „Es gibt aber auch schwerere Verläufe vor allem bei immunsupprimierten Personen. Eine schwere Komplikation, die durchaus zum Tod führen kann, kann auch eine bakterielle Co-Infektion oder sogar eine bakterielle Sepsis sein, die sich entwickelt, wenn sich die Pusteln öffnen und infizieren“, erklärt der Virologe.
Eine Isolation für Infizierte hält er für angezeigt. Solange jemand Symptome habe, sei die Person auch ansteckend. Im Normalfall verschwinden die Symptome nach zwei bis vier Wochen. Es sei allerdings anders als bei Corona, weil das Virus nicht über Aerosole in der Luft übertragbar sei, sagt Ludwig. „Aber direkter Kontakt mit den Pusteln und Körperflüssigkeiten von Infizierten muss vermieden werden.“
Pockenimpfung schützt vermutlich vor schwerer Krankheit
Das Affenpockenvirus ist mit dem gefährlicheren Pockenvirus verwandt, das seit 1980 ausgerottet ist. Menschen, die heute über 50 Jahre alt sind, haben oftmals noch eine Pocken-Impfung bekommen. Ludwig glaubt, dass die Impfung auch vor Affenpocken schützt. Zahlen belegten, dass die Schutzwirkung bei der älteren Bevölkerung bis zu 85 Prozent sein könnte. „Ähnlich wie beim Corona-Virus heißt das nicht, dass Ältere sich nicht mit dem Virus anstecken können. Allerdings wären schwere Verläufe eher unwahrscheinlich“, so der Experte.
In Großbritannien wird die „alte“ Pockenimpfung jetzt gewissen Risikogruppen vorsorglich angeboten. Ein solcher Off-label-Use wäre auch in Deutschland denkbar. Ludwig äußert sich dazu zurückhaltend. „Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen.“ Noch seien die Zahlen gering, aber wenn das Ganze an Fahrt aufnehme, „dann müsste man über eine Impfempfehlung vulnerabler Gruppen nachdenken.“
Das Affenpockenvirus wurde zum ersten Mal 1958 bei Laboraffen entdeckt. Eine Infektion im Menschen wurde erstmals 1970 dokumentiert. Vermutlich ist das Virus damals durch engen Kontakt mit Tieren oder durch Tierbisse auf den Menschen übergesprungen.