Warum Jungen anfälliger für Autismus sind als Mädchen

Drei von vier autistischen Kindern sind Jungs. Testosteron könnte den Unterschied erklären – Foto: ©master1305 - stock.adobe.com
An Autismus leiden rund 1,5 Prozent aller Kinder. Auffällig ist, dass Jungen viermal so häufig betroffen sind wie Mädchen. Bislang waren diese Unterschiede nicht erklärbar. Jetzt gibt es Hinweise, dass das Hormon Testosteron eine Rolle spielen könnte. Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Heidelberg konnten an menschlichen Zellen und Gehirnbereichen von Mäusen zeigen, dass das männliche Geschlechtshormon Testosteron in der Zeit vor und nach der Geburt bestimmte Risiko-Gene im Gehirn deutlich stärker aktiviert. Bisher war nur bekannt, dass Defekte in diesen speziellen Genen ein starker Risikofaktor für das Auftreten der neuronalen Entwicklungsstörung sind.
Jungen haben höheres Risiko für Autismus
"Nun haben wir einen ersten Hinweis, warum - jedenfalls in Bezug auf eine wichtige Gruppe der zahlreichen Risiko-Gene - Jungen ein so deutlich höheres Autismus-Risiko haben als Mädchen", sagt Seniorautorin Prof. Dr. Gudrun Rappold, Direktorin der Abteilung Molekulare Humangenetik.
Bei den genannten Risiko-Genen handelt es sich um die Gene namens SHANK1, 2 und 3. Die Heidelberger Arbeitsgruppe erforscht die SHANK-Gene seit Jahren, da Defekte in diesen Abschnitten der Erbinformation eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Autismus und anderen psychischen Erkrankungen spielen.
Testosteron aktiviert SHANK-Gene
Wie die neuesten Test an Gehirnen junger männlicher Mäuse nun ergaben, werden diese Gene verstärkt in Proteine übersetzt und dies durch höhere Mengen des Geschlechtshormons Testosteron beeinflusst. In Gehirnen von männlichen Mäusen, die von Natur aus mehr Testosteron in Blut und Gehirn haben, fanden die Forscher denn auch deutlich höhere Mengen an Shank-Proteinen als bei weiblichen Tieren. "Wir gehen davon aus, dass die größere Menge an Shank-Protein im männlichen Gehirn die ,Durchschlagskraft´ von Defekten in den SHANK-Genen erhöhen und daher zu einem höheren Autismus-Risiko führen", erklärt Rappold.
Die Ergebnisse der Arbeit „Distinct Phenotypes of Shank2 Mouse Models Reflect Neuropsychiatric Spectrum Disorders of Human Patients With SHANK2 Variants“ sind soeben in der Fachzeitschrift "Frontiers in Molecular Neuroscience" erschienen.
Autismus äußert sich schon früh
Bei Autismus ist die Entwicklung der Nervenzellen im Gehirn gestört. Die Symptome machen sich meist schon im Kleinkindalter bemerkbar und können von Patient zu Patient stark variieren. Klassischerweise haben autistische Menschen Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, in der Kommunikation und Wahrnehmungsverarbeitung und zeigen oft intensive, spezielle Interessen. Nichts desto trotz sind viele Autisten hoch intelligent.