Macht zu viel Fernsehen dement? Studie bescheinigt Gedächtnisabbau

Hinweis auf Fernseh-bedingte Demenz: Studie weist einen Abbau des verbalen Gedächtnisses bei älteren Menschen nach, die täglich mindestens als 3,5 Stunden Fernsehen schauen – Foto: ©rcfotostock - stock.adobe.com
Wenn nichts mehr läuft, läuft der Fernseher. Dieser Spruch trifft vor allem auf ältere Menschen zu. Während die jungen am Smartphone daddeln, schauen ihre Eltern und Großeltern gerne noch fern. Dass zu viel Fernsehen dumm machen kann, davor warnten Kommunikationswissenschaftler schon vor Jahrzehnten. Jetzt untermauern medizinische Forscher diese Annahme. Die aktuelle Studie aus Großbritannien zeigt, dass ein hoher TV-Konsum von täglich mehr als 3,5 Stunden bei über 50-Jährigen zum Abbau des verbalen Gedächtnisses führt. Und das ist auch bei einer Demenz beeinträchtigt.
Verbales Gedächtnis baut ab
Das verbale Gedächtnis ist dafür zuständig, sprachliche Botschaften zu erfassen und sie zu verarbeiten. Es ist somit zentral wichtig für die Aufnahme und das Verwenden von Informationen, die uns in Worten – gesprochen oder geschrieben – übermittelt werden. Ist das verbale Gedächtnis gestört, können gesprochene Botschaften nicht mehr adäquat verarbeitet werden. Wenn etwa das Navigationssystem sagt, jetzt rechts abbiegen – sind Betroffene nicht in der Lage, diese Anweisung zu verstehen und umzusetzen. Oder die mündlich ausgesprochene Einladung eines Freundes wird sofort wieder vergessen.
3,5 Stunden Fernsehen am Tag ist die kritische Schwelle
In der aktuellen Studie wurde nun gezeigt, dass es durch viel Fernsehen genau zu solchen Defiziten kommt. Gibt es also eine Fernseh-bedingte Demenz?
Beobachtet wurden 3.590 Studienteilnehmer, die zu Beginn der Studie über 50 Jahre alt waren und keine Anzeichen einer Demenz aufwiesen. Das durchschnittliche Alter betrug 67 Jahre. Nach sechs Jahren wurden die Probanden im Hinblick auf ihre kognitiven Fähigkeiten untersucht und zu ihren Fernsehzeiten befragt. Es zeigte sich ein „dosisabhängiger“ Effekt: je mehr TV ein Teilnehmer schaute, desto mehr hatte das verbale Gedächtnis im Vergleich zum Ausgangswert abgebaut. Die kritische Schwelle waren 3,5 Stunden Fernsehkonsum pro Tag, weniger wirkte sich nicht aus.
Auch wenn bestimmte Einflussfaktoren wie Geschlecht, Alter, Beziehungsstatus, sozialer Stand, Berufsleben/Rente und gesundheitliche Faktoren wie eine Depression oder Gefäßerkrankungen, Tabak- und Alkoholkonsum herausgerechnet worden waren, hatten die Ergebnisse Bestand. Auch Bewegungsmangel, der ein großer Risikofaktor für kognitiven Abbau ist, hatte offenbar keinen Einfluss auf das Ergebnis.
Beunruhigende Ergebnisse
Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), hält die Ergebnisse für beunruhigend. „Möglicherweise entwickelt sich hier eine ganz eigene Krankheitsentität, die Fernseh-bedingte Demenz“, sagte er.
Frühere Studien konnten zeigen, dass viel Fernsehen mit einem kognitiven Abbau einhergeht, aber andere sitzende Freizeitbeschäftigungen wie etwa im Internet surfen nicht. Forscher hatten das mit der hohen Stimulanz und dem schnellen Wechsel von Sinneswahrnehmungen (Sehen und Hören) und der gleichzeitigen Passivität der Zuschauer erklärt, die dem Fernsehschauen eigen ist. In der neuen Studie war aber nur das verbale Gedächtnis vom TV-Konsum-bedingen Abbau betroffen, nicht die Wortflüssigkeit. Die sogenannte „semantic fluency“ ist unter anderem bei Alzheimer ebenfalls stark reduziert ist.
Hinweise auf Fernseh-bedingte Demenz
„Verschiedene Studien hatten die These aufgestellt, dass viel Fernsehen das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, fördern könnte. Alzheimer-Patienten haben aber auch kognitive Defizite jenseits des verbalen Gedächtnisverlustes“, so Berlit. Darum die Befürchtung, dass es eine eigenständige Fernseh-bedingte Demenz gibt. „Gerade ältere Menschen sollten, um lange geistig fit zu bleiben, von zu viel Fernsehschauen absehen“, rät der Neurologe.
Die vorliegende Studie hatte auch gezeigt, dass Menschen, die nicht mehr im Berufsleben stehen, mehr Fernsehen schauen als Berufstätige. Insbesondere Frauen, Personen mit einem geringen Bildungsgrad und Alleinlebende verbringen demnach überdurchschnittlich viel Zeit vor dem Fernseher.
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