Wissenschaftspreisträger Dirnagl: Wollen die Rolle des Immunsystems bei Schlaganfall erforschen

Viel in der Schlaganfallforschung geleistet: Ulrich Dirnagl (re.) erhält den Berliner Wissenschaftspreis 2016 von Michael Müller
Er ist einer der führenden Köpfe in der Schlaganfallforschung. Nun hat Ulrich Dirnagl den Berliner Wissenschaftspreis erhalten. Der mit 40.000 Euro dotierte Preis ist die bedeutendste Auszeichnung des Wissenschaftsstandorts Berlin.Verliehen wurde dem Direktor des Centrums für Schlaganfallforschung Berlin die Auszeichnung am Montag von Berlins Regierendem Bürgermeisters Michael Müller im Rahmen der Wissenschaftswoche.
In einem Interview mit seinem Arbeitgeber Charité, erklärt er, womit er sich augenblicklich befasst. Danach dreht sich vieles um die Frage, ob und wie man das Gehirn bei einem Schlaganfall schützen kann. Neuroprotektion nennt er das. „Das Hirn ist sehr plastisch, wenn etwas kaputt gegangen ist, ist es in der Lage, viele Funktionen im Laufe der Zeit wieder zu erhalten“, sagt er. „Den genauen Mechanismen dabei gehen wir nach, also wie übernehmen andere Regionen Funktionen oder wie entstehen neue Schaltkreise, um sie dann medikamentös oder therapeutisch unterstützen zu können.“ Aber auch Dinge die außerhalb des Gehirns passieren, sind Gegenstand seiner Forschung, Lungenentzündungen etwa, an denen viele Schlaganfallpatienten versterben. Herausfinden will er, was bei solchen Komplikationen genau im Körper passiert.
Hypothese zur Rolle des Immunsystems
Dabei verfolgt der Schlaganfallspezialist eine spannende Hypothese, nämlich die, dass das Immunsystem eine entscheidende Rolle beim Schlaganfall spielt. Das adaptive Immunsystem und dessen Hauptzelltyp, die Lymphozyten, glaubt Dirnagl, seien maßgeblich am Schaden, Schutz und der Regeneration von Hirnzellen beteiligt. Man wisse von der Multiplen Sklerose, dass das Immunsystem das Gehirn attackieren könne und kenne daher viele der Mechanismen. Ähnliches passiere wohl auch beim Schlaganfall, ist er überzeugt. „Spannend ist es jetzt zu schauen, was Multiple-Sklerose-Forscher bereits darüber wissen, wie das Hirn mit Immunzellen interagiert,“ sagt Dirnagl. „Es ist hochinteressant, hier disziplinübergreifend zu denken.“ Beim Denken will er es allerdings nicht belassen. „Jetzt gucken wir nicht mehr ab, jetzt arbeiten wir zusammen“, sagt der Preisträger, der oft als Brückenbauer bezeichnet wird und eng mit dem Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) kooperiert.
Außergewöhnlich kooperatives Forschungsumfeld
In Berlin sieht er für das neue Forschungsgebiet ein ideales Umfeld. Leute, die an Fruchtfliegen forschen, sitzen Tür an Tür mit Leuten, die Patienten mit Demenzen behandeln. Und sie machen gemeinsame Forschung. „Das habe ich bisher nirgends so in diesem Extrem gesehen.“ Dirnagl glaubt, das liege daran, dass hier nach der Wende eine „Reset-Taste“ gedrückt wurde: „Da fing einfach alles neu an, gleichzeitig war man recht risikofreudig.“
Sich selbst sieht Dirnagl nicht als detailversessen. Bestimmte Phänomene schaue er sich zunächst aus der Vogelperspektive an, um den größeren Zusammenhang zu finden. Erst am Ende komme der Blick ins Mikroskop.
Mit dem Medizinstudium an der Ludwigs-Maximilians-Universität München begann Ulrich Dirnagls Forscherkarriere. Es folgten die wissenschaftliche Mitarbeit in der Abteilung für Neurologie und ein längerer Aufenthalt an der Cornell University in den USA. 1993 kam er zurück nach Deutschland - an die Charité. 1999 wurde er dort Direktor der Abteilung Experimentelle Neurologie. Aktuell ist er Mitglied des Vorstands des Exzellenzclusters „NeuroCure“, Direktor des Centrums für Schlaganfallforschung (CSB), klinischer Koordinator des Berliner Standortes des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und Programmdirektor des internationalen Master-MD/PhD Programms Medical Neurosciences.
Foto: Charité - Universitätsmedizin Berlin