Wie gefährlich sind die Mutationen aus England und Südafrika?

Gefährlicher, weil höchstwahrscheinlich ansteckender: Die Mutationen aus England und Südafrika bereiten Wissenschaftlern Sorgen – Foto: ©alphaspirit - stock.adobe.com
Viren verändern sich ständig. Die Veränderung wird als Mutation bezeichnet, das Virus selbst als Mutante. In Südengland wurde erstmals im September 2020 eine SARS-COV-2-Mutation identifiziert, die sich allem Anschein nach viel rasanter ausbreitet als andere Virusvarianten.
Die Mutante heißt B 1.1.7. und dominiert mittlerweile das Infektionsgeschehen in England. Auch in vielen anderen Ländern breitet sich diese Variante aus, darunter Dänemark, Südafrika und Frankreich. Wissenschaftlern macht die Mutation aus England (sie kann aber auch anderswo entstanden sein) großes Kopfzerbrechen.
Höhere Reproduktionszahl gilt als sicher
Infektionsepidemiologische Daten aus England und Dänemark zeigen, dass sich die Variante B 1.1.7. rasanter in der Bevölkerung ausbreitet als andere Varianten von SARS-COV-2. Modellierungen vom Imperial College London stützen die Daten. Danach erhöht B 1.1.7. die Reproduktionszahl um 0,4 bis 0,7 Prozent. Die Reproduktionszahl R0 gibt an, wie viele weitere Menschen eine infizierte Person ansteckt. Bei der „wilden“ SARS-COV2-Variante liegt der R-Wert bei 3, bei B 1.1.7. würde er demnach bei 3,4 bis 3,7 liegen.
Hohe Infektionszahlen begünstigen Mutationen
Augenblicklich ist noch nicht klar, inwieweit die höhere Reproduktionszahl das Pandemiegeschehen beeinflusst. Wichtig bleibt deshalb, die Infektionszahlen weiter einzudämmen. Denn Mutationen entstehen dort, wo viele Menschen infiziert sind. Insbesondere wenn jemand lange an COVID-19 erkrankt ist, also SARS-COV-2 lange in sich trägt wie ältere oder immungeschwächte Personen, ist das ein Nährboden für Veränderungen des Virus.
Deutschland und B 1.1.7.
In Deutschland wurde B 1.1.7. nur vereinzelt nachgewiesen. Da aber hierzulande seit Pandemiebeginn nur rund 1.000 Gensequenzierungen von SARS-COV-2-Viren aus Patientenproben vorgenommen wurden, tappt die Wissenschaft bei uns mehr oder weniger im Dunklen. Zum Vergleich: In England werden pro Woche mehr als 100.000 Gensequenzierungen vorgenommen. Es kann also durchaus sein, dass sich B 1.1.7. auch bei uns unbemerkt ausbreitet und deswegen der Lockdown so schlecht wirkt. Mangels Datenbasis sind das aber nur Spekulationen.
17 Mutationen an der Variante aus England gefunden
Mutationen des Coronavirus sind im Laufe der elf Monate dauernden Pandemie schon viele aufgetaucht. Was Wissenschaftlern bei B 1.1.7. besonders große Sorgen bereitet, ist, dass dieser Virustyp 17 relevante Mutationen besitzt, davon gelten mindestens 6 als problematisch. Die Veränderungen befinden sich am Spikeprotein, jener Andockstelle, mit der das Virus an die Körperzelle bindet. Vermutet wird, dass sich die Bindungsfähigkeit des Virus dadurch erhöht, Rachenzellen also mehr Viruslast aufweisen. Das würde auch die höhere Infektiosität erklären.
B 1.1.7. möglicherweise durch Selektionsdruck entstanden
Dass sich die Mutante B 1.1.7. an so vielen Stellen verändert hat, ist möglicherweise kein Zufall. Viren versuchen sich Vorteile zu verschaffen, damit sie sich besser vermehren können. Es wird nun befürchtet, dass es sich bei B 1.1.7. bereits um eine Selektion handelt (der Stärkere überlebt).
Der Selektionsdruck könnte durch die Massenimpfungen noch zunehmen. Denn je mehr Menschen immunisiert sind, desto schwieriger wird es für das Virus, sich zu vermehren. Also muss es sich einen Ausweg suchen, indem es sich durch äußerliche Veränderungen an die Umstände anpasst.
Wirken die Impfungen gegen mutierte Coronaviren?
Nach allem was man bisher weiß, sind die bei uns zugelassenen mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna auch gegen die Mutation B 1.1.7. wirksam. Bei der Variante B 1.3.1.5. aus Südafrika ist das dagegen höchst fraglich. Versuche mit Blutplasma genesener COVID-19-Patienten zeigten, dass die Antikörper aus dem Blut diese Variante kaum neutralisieren konnten. Grund ist, dass das Virus sein Aussehen so stark verändert hat, dass die Antikörper es nicht mehr erkennen und daran binden können. Ebendiese Antikörper werden auch durch die Impfung gebildet.
Jedoch sind weitere Studien und Daten nötig, um diesen Verdacht zu erhärten. Die Variante aus Südafrika verbreitet sich seit geraumer Zeit auch in Südamerika, insbesondere in Brasilien. Experten halten sie im Moment sogar für gefährlicher als die Mutation aus England.
Neue Phase der Pandemie erreicht
Jedoch wird auch die Mutation aus Südafrika nicht die letzte gewesen sein. SARS-COV-2 wird sich weiter verändern und auch an die Tatsache anpassen, dass mehr und mehr Menschen geimpft sein werden. Mit der Impfung wurde jetzt eine neue Phase der Pandemie erreicht, die neben aller Hoffnung eben auch weitere Mutationen begünstigt.
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