Übergewicht in der Schwangerschaft hat ernste Folgen für das Kind

Herr Professor Dudenhausen, warum warnen Sie eigentlich so eindringlich vor übergewichtigen Müttern?
Dudenhausen: Ich warne nicht vor übergewichtigen Müttern, sondern vor Übergewicht vor und während der Schwangerschaft. Wir wissen nämlich aus zahlreichen Studien, dass Kinder dieser Mütter ein deutlich höheres Risiko für Diabetes vom Typ II und Bluthochdruck haben. Davon abgesehen kommen die meisten zu schwer auf die Welt. Die Zahl der Neugeborenen über 4.000 Gramm ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Ein so hohes Geburtsgewicht wird diese Kinder ein Leben lang verfolgen.
Sind das die berühmten Fettzellen, die man nicht mehr los wird?
Dudenhausen: Natürlich. Und das ist nicht nur ein ästhetisches Problem. Schon bei der Geburt kann es zu mechanischen Problemen kommen. Ich kenne Fälle, wo es infolge von Entwicklungsstörungen der Schultern zu Lähmungen an Armen und Schulter gekommen ist, weil das Kind zu groß für den Geburtskanal war. Solche Behinderungen wären vermeidbar.
Diabetes muss auch niemand haben, vor allem Kinder nicht.
Dudenhausen: Die Zuckerkrankheit tritt bei den Betroffenen ganz oft schon im Kindesalter auf. Das Risiko besteht aber ein Leben lang, so dass der Diabetes auch jederzeit im Erwachsenenalter ausbrechen kann – mit allen bekannten Folgeerkrankungen. Das liegt an der fetalen Programmierung.
Kinder übergewichtiger Mütter sind also regelrecht auf Diabetes programmiert?
Dudenhausen: Inzwischen ist das wissenschaftlich anerkannt. Und wie gesagt, programmiert sind die Kinder nicht nur auf Diabetes. Es kommt das Risiko für Bluthochdruck, Fettleibigkeit und Fettstoffwechselstörungen hinzu. Im ungünstigsten Fall kommt alles zusammen und es wird ein metabolisches Syndrom daraus. Ihnen muss ich nicht erzählen, was das für das Herz-Kreislaufsystem und das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko bedeutet.
Leben Frauen heute denn nicht gesünder als früher?
Dudenhausen: Das mag auf eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe zutreffen. Gesamtgesellschaftlich ist aber das Gegenteil der Fall. Schauen Sie sich doch an, was auf den Teller kommt: Pizza, Fastfood und viel zu viele Kohlehydrate. Wenn das so weitergeht, haben wir bald die gleiche Situation wie in den USA. Hier wie dort breitet sich Übergewicht seit ein paar Jahrzehnten epidemisch aus, vor allem in den unteren sozialen Schichten. Die USA sind uns da ungefähr zehn Jahre voraus.
Ist Übergewicht in der Schwangerschaft eigentlich auch für die Mutter gefährlich?
Dudenhausen: Das Risiko für einen Schwangerschaftsdiabetes ist bei übergewichtigen Frauen immens. Und Frauen, die das einmal hatten, erkranken später dreimal so häufig am Typ II Diabetes. Sie sehen also, dass es auch Spätfolgen gibt, die zum Zeitpunkt der Schwangerschaft noch gar nicht offensichtlich sind.
Nun sind Sie im Vorstand der Stiftung für das behinderte Kind. Welchen Gegenzug planen Sie?
Dudenhausen: Wir wollen eine breit angelegte Informationskampagne starten. Einmal für Ärzte, Ärztinnen und Hebammen und einmal für die Öffentlichkeit. Derzeit suchen wir einen Sponsor, der uns dabei finanziell unterstützt.
Wen haben Sie im Sinn?
Dudenhausen: Toll wäre eine Krankenkasse, aber auch gegenüber der Industrie sind wir nicht abgeneigt.
Glauben Sie, dass Sie die Frauen mit einer Kampagne überhaupt erreichen?
Dudenhausen: Es ist schon klar, dass wir unsere Botschaft über viele Kanäle verbreiten müssen. Neben den klassischen Medien werden wir auch in soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter gehen. Eine App wird es vermutlich auch geben, wo sich die Schwangeren Tipps zu Ernährung und Bewegung aufs Handy holen können. Ganz wichtig sind natürlich auch die Frauenärzte. Die sind nun mal ganz nah an den Schwangeren dran. Bei der Beratung ist da noch einiges zu heben.
App und gut gemeinte Worte hin oder her. Wir wissen doch alle, wie schwer es ist, den eigenen Lebensstil zu ändern.
Dudenhausen: Lebensstiländerungen beginnen im Kopf. Deshalb wollen wir das öffentliche Bewusstsein schärfen. Wenn Frauen ein offenes Ohr dafür bekommen, haben wir schon viel erreicht. Die Änderung des Lebensstils fängt doch schon im Kleinen an: Mal ein Apfel statt der Tüte Haribo, mal das Fahrrad nehmen statt den Bus – jede noch so kleine Maßnahme hilft dem ungeborenen Kind, gesünder auf die Welt zu kommen.
Ihre Stiftung hat schon viel für alkoholgeschädigte Kinder getan, zum Beispiel das Zentrum für Menschen mit angeborenen Alkoholschäden (FASD) an der Charité gegründet. Lässt sich so ein Erfolg wiederholen?
Dudenhausen: Ich hoffe es. Das FASD ist insofern ein vorbildliches Beispiel, weil es sich inzwischen über die Krankenkassen finanziert. Vielleicht beißen die Kassen ja auch bei diesem Thema an. Der Zeitpunkt ist jedenfalls günstig. Schließlich steht Prävention ja augenblicklich politisch hoch im Kurs.
Prof. Dr. Joachim Dudenhausen hat bis 2010 die Klinik für Geburtsmedizin der Charité geleitet. Seit 1993 ist er Vorstandsvorsitzender der Stiftung für das behinderte Kind