Stöhr: Pandemie epidemiologisch im Sommer zu Ende

Impfungen und Ansteckungen sind für Klaus Stör das Exit-Ticket aus der Pandemie – Foto: © adobe stock /marchsirawit
Omikron beschert uns gerade Rekordinzidenzen. Doch längst sterben nicht annähernd so viele Menschen wie in der zweiten und dritten Welle. Der Hospitaliserungsindex ist seit Wochen stabil mit sinkender Tendenz, obwohl sich immer mehr Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Die Meldeinzidenz habe sich vollständig von der eigentlichen Krankheitslast abgekoppelt, erläutert der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr in einem Interview mit N-TV. Diese Entkopplung bedeute: „Das Ende der Pandemie naht“.
Omikron vermehrt sich vornehmlich im Nasen-Rachen-Raum
Wie passt das mit der Einschätzung der WHO zusammen, wonach sich bis Ende März etwa die Hälfte aller EU-Bürger mit Corona infizieren werden? Stöhr, der 15 Jahre lang für die WHO gearbeitet hat, sieht darin keinen Widerspruch. Denn die Omikron-Variante sei ein entscheidender Schritt in Richtung Endemie, sagt er. Omikron vermehre sich nicht mehr so häufig in der Lunge, sondern im Nasen-Rachenraum. Dadurch steige die Übertragungfähigkeit, aber die schweren Verläufe reduzierten sich. „Das ist typisch für ein endemisches Virus“.
Erst impfen lassen
Dennoch: Omikron kann immer noch für Einzelne gefährlich werden, vor allem für ungeimpfte über 60-Jährige. Da eine Impfung nachweislich schwere Verläufe verhindern kann, ist es nach Ansicht von Klaus Stöhr besser, sich erst impfen zu lassen, bevor man sich zwangsläufig infiziert. „Das könnte der Weg für jeden Einzelnen aus der Pandemie sein“, so der der ehemalige Leiter des Globalen Influenza-Programms und SARS-Forschungskoordinator der WHO. Obendrein werde das „Paket aus Impfung und dann noch Infektion draufsatteln“ ein langanhaltender Immunschutz gegen Corona sein. Im Herbst bräuchten dann nur die vulnerablen Gruppen einen Booster, meint der Epidemiologe.
Stöhr hält gefährlichere Varianten für unwahrscheinlich
Vermutungen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, wonach sich noch wesentlich gefährlichere Varianten entwickeln könnten, hält Stöhr für höchst unwahrscheinlich. Dies widerlaufe jede Erfahrung mit Viren, die von Tieren auf den Menschen übergesprungen seien. Viren passten sich an den Menschen an, wollten ihn aber nicht zu stark schädigen, erklärt Stöhr. „Ich kann nicht sehen, dass sich hier plötzlich wieder stärker krankmachende Varianten entwickeln. Die Evolution quasi einen Rückschritt macht.“
Möglich sei indes, dass die nächsten Varianten den Immunschutz partiell unterlaufen können, „so wie wir das bei der Influenza sehen.“
Im Sommer sinkt der Infektionsdruck
Auf die Frage, wann die Pandemie denn nun zu Ende sei, antwortet Stöhr: „Epidemiologisch dann, wenn die Auswirkungen von Corona vergleichbar sind mit anderen Atemwegsinfektionen, der Grippe zum Beispiel.“ Für Stöhr ist dies im Sommer so weit. Denn jetzt werden sich viele natürlich immunisieren und wichtiger, hoffentlich noch viele impfen lassen. Zudem sinke im Sommer der Infektionsdruck um das circa 10- bis 15-Fache im Vergleich zum Winter. Dadurch werde der epidemiologische Teil im Sommer beendet sein, ist sich Stöhr sicher. Seine Prognose stützt er auf Erfahrungen aus vorangegangenen Epidemien und mit anderen Atemwegserkrankungen aus den letzten Jahrzehnten.
Aber das Ende der Pandemie werde auch von der Gesellschaft bestimmt, betont der Epidemiologe. Das Bild mit der Mutter auf dem Fahrrad und dem Kind dahinter mit Maske aber ohne Helm verdeutliche gut, „dass es noch unter Umständen ein weiter Weg sein könnte, bis sich die Risikowahrnehmung wieder angepasst hat.“