So werden Hirntumore heute behandelt

Die Neuronavigation – wie hier die nTMS - war ein Meilenstein in der Hirntumortherapie. Neueste Entwicklungen wie TTF und Immuntherapien setzen die positive Entwicklung fort
Eines wurde auf dem Informationstag der neurochirurgischen Klinik der Charité am Freitag klar: Patienten müssen Augen und Ohren offen halten, wenn sie von den neuesten Entwicklungen in der Hirntumortherapie profitieren wollen. Wer weiß schon, dass es an der Charité eines der größten zertifizierten neuroonkologischen Zentren Deutschlands gibt, wo sich auch Psychologen um die Patienten kümmern? Dass dort besonders komplizierte Fälle und Rezidive behandelt werden, die anderswo keine Chance hätten? Oder dass es an der Charité ein CyberKnife-Center gibt? Deshalb sind solche Informationstage richtig und wichtig. Gut auch, weil man lernen konnte, dass Bewegung in die Hirntumortherapie gekommen ist, und zwar weniger durch neue Medikamente als durch moderne Technik.
An der Charité werden die komplizierte Fälle und Rezidive operiert
Kaum ein anderer Bereich der Medizin greift auf so viel Software und Hardware zurück wie die Neurochirurgie, war zu hören. MRT und PET-CT gehören zwar auch bei anderen Krankheiten zur Routine-Diagnostik. In der Hirntumortherapie sind sie aber Baustein einer komplexen Neuronavigation. Die anatomischen Aufnahmen werden nämlich über eine spezielle Software mit funktionellen Darstellungen und intraoperativen Funktionstests fusioniert, so dass der Operateur genau weiß, wann und wo es kritisch wird. Computerassistiertes Operieren nennen die Ärzte das. Ein fahrbarer CT-Scanner gibt nebenher Aufschluss, ob das Operationsziel erreicht worden ist oder noch weiter operiert werden muss. „Die Crux bei Hirntumoren ist, möglichst viel Tumorgewebe zu entfernen und gleichzeitig den Erhalt der Funktionen zu sichern“, erklärte Oberärztin Dr. Katharina Faust. Deshalb sei die Neuronavigation nach der Erfindung des Operationsmikroskops ein Meilenstein in der Hirntumortherapie. „Die moderne Neuronavigation erlaubt uns schon vor der OP eine genaue Planung und macht Eingriffe möglich, die vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wären“, sagte sie mit Blick auf die vielen grenzwertig operablen Fälle und Rezidive.
Was nur wenige wissen: Mit der navigierten transkraniellen Magnetstimulation (nTMS) haben Neurochirurgen der Charité selbst einen Teil des Meilensteins entwickelt. Bei der Untersuchung wird im Vorfeld der OP millimetergenau ermittelt, wie dicht der Hirntumor an Sprach- oder Motorik-Arealen liegt und wo die Nervenfaserbahnen verlaufen. Während der OP werden die Bilder dann in die Neuronavigation eingespielt. „Wir haben belastbare Daten, dass die nTMS in ihrer Präzision und Vorhersagegenauigkeit unübertroffen ist“, erläuterte der Leiter des nTMs-Zentrums Dr. Thomas Picht das Hirn-Mapping, das es bisher nur an wenigen Zentren in Deutschland gibt.
CyberKnife vernichtet kleine, gut abgegrenzte Tumore
Auch das Strahlenmesser CyberKnife, das seit 2011 auf dem Campus im Wedding steht, ist mit gerade mal sieben weiteren Geräten in Deutschland eine Besonderheit. Das roboterassistierte High-Tech-Gerät bündelt feinste Photonenstrahlen so punktgenau, dass selbst inoperable Tumore im Gehirn zerstört werden können. Hirnmetastasen und Meningeome werden nach Auskunft von Dr. Markus Kufeld am häufigsten damit behandelt, machmal auch kleine Tumorreste. Für die größte Gruppe der Hirntumore, die Gliome und das Glioblastom, komme der Strahlenroboter allerdings nicht in Frage, „weil diese Tumore nicht klar vom gesunden Gewebe abgegrenzt sind“, wie Kufeld betonte. Limitiert sei das Verfahren auch bei großen Tumoren oder zu vielen Metastasen. Bis zu fünf Läsionen in einer Sitzung sind laut dem CyberKnife-Spezialisten aber drin. Anders als bei der herkömmlichen Strahlentherapie braucht es beim CyberKnife in der Regel nur eine einzige Sitzung, was Kufeld als „extrem komfortabel für die Patienten“ bezeichnet.
TTF verlängert Leben bei Glioblastom
Patienten mit Glioblastom können unterdessen von einer anderen Technik profitieren. Die Therapie mit elektrischen Feldern (TTF) hatte in einer Studie so verblüffende Ergebnisse hinsichtlich des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens gezeigt, dass die Studie sogar abgebrochen werden musste. „Das ist etwas Neues, was einen großen Effekt verspricht“, kommentierte Oberarzt Dr. Martin Misch die Ergebnisse. Noch ist die TTF Therapie – genau wie eine CyberKnife-Behandlung – Verhandlungssache mit den Kassen. Misch hält eine Krankenkassenzulassung in den nächsten ein bis zwei Jahren aber für gut vorstellbar. Dann wäre beim Gliobastom definitiv ein neuer Therapie-Standard etabliert.
Immuntherapien bei Hirntumoren noch in Erprobung
Und noch eine weitere Therapieoption könnte nach Einschätzung des Neurochirurgen das klassische Trio aus Operation, Chemo- und Strahlentherapie künftig ergänzen: die Immuntherapie. „Immuntherapien sind ein neuer Ansatz, bei dem man versucht, Oberflächenmarker der Tumore mit Impfstoffen, Viren oder Immunzellen zu bekämpfen“, erklärte Misch. Zahlreiche Studien seien in der Pipeline, etwa mit einem neuen Impfstoff gegen IDH1-mutierte Gliome oder mit den neuen Checkpoint-Inhibitoren. Spruchreif sei momentan jedoch noch keine davon.
Hoffnung wecken die Immuntherapien aber allemal. Andere Ansätze wie die NanoKrebs-Therapie, Metadon, Valproat, Chloroquin oder der Medikamentencocktail CUSP9 zeigen, dass es noch reichlich weitere Eisen im Feuer gibt.
Vergleicht man diese Entwicklung mit dem Stand vor 20 Jahren, hat sich verdammt viel getan. Damals hat es noch nicht einmal eine wirksame Chemotherapie gegen Hirntumore gegeben, geschweige denn das Krebsmittel Avastin. Und auch die Biomarker MGTM und die IDH-Mutation, die Hirntumore in Subgruppen klassifizieren, wurden erst viel später entdeckt. „Wir können heute viel individueller entscheiden als noch vor fünf Jahren“, fasste Neurochirurg Misch zusammen. „Das zeigt, dass enorme Bewegung in die Hirntumortherapie gekommen ist.“
Die Deutsche Hirntumorhilfe und der Geräteherstelle Nexstim haben den Tag der offenen Tür am 12. Juni unterstützt. Foto: © Dirk Lässig