Medizin-Cannabis: Darf man da Auto fahren?

Wer medizinisches und damit legales Cannabis zu sich nimmt, darf juristisch gesehen Autofahren. Aber er muss charakterlich in der Lage sein, das Auto im Zweifelsfall konsequent stehen zu lassen. – Foto: ©Dima - stock.adobe.com
Wenn nichts anderes mehr hilft, hilft hoffentlich Medizinal-Cannabis. Seit März 2017 ist das natürliche, aber nicht unumstrittene Arzneimittel in Deutschland zugelassen – als Therapiealternative bei schwerwiegenden Erkrankungen in medizinisch begründeten Einzelfällen. Sogenannte Cluster-Kopfschmerzen zählen dazu: Das sind Schmerzattacken, die an Augen, Stirn oder Schläfe auftreten – wochenlang, bis zu achtmal am Tag, 15 Minuten bis drei Stunden lang. Für die Betroffenen wird das Leben zur Hölle. Neben Schmerzpatienten können auch Menschen mit Epilepsie, ADHS oder Angststörungen Cannabis vom Arzt verschrieben bekommen.
Patienten müssen richtig dosieren – bis in den 100stel-Gramm-Bereich
„Der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) verspricht ihnen Linderung, macht aber auch, je nach Dosis, ‚high‘", warnt die „Aktion Das Sichere Haus“ (DSH). „Eine eingeschränkte Wahrnehmung und verzögerte Reaktion können die Folge sein.“ Cannabisblüten, die lose auf Rezept in Apotheken erhältlich seien, seien nicht einzeln zähl- und handhabbar wie standardisierte Pillen und verfügten über keinen Beipackzettel. Herausforderung für die Patienten: In eigener Regie müssen sie sicherstellen, dass sie die verordnete Menge auch in Kleinstmengen (zum Teil bis unter 0,1 Gramm) richtig dosieren. „Das Rezept muss daher eindeutige Angaben zum Drogenmaterial, zur Darreichungsform und zu den Einzel- und Tagesdosen enthalten“, betont die DSH.
Legales Medizin-Cannabis: Autofahren erlaubt, aber …
Grundsätzlich gilt – im Unterschied zu allen Konsumenten von Alkohol oder illegalen Drogen – bei den Patienten mit Medizin-Cannabis: „Diese Personen dürfen am Straßenverkehr teilnehmen, soweit sie in der Lage sind, ein Fahrzeug sicher zu fahren“, heißt es bei der DSH. Das verlangt ein großes Maß an Verantwortungsbewusstsein – sich selbst und anderen gegenüber – und erforderlichenfalls ein unbequemes, aber vernunftbetontes Nein. Klare Direktive der DSH: „Im Zweifelsfall sollte das Auto stehen bleiben.“ Vor allem ganz am Anfang, wenn Patienten sich an das Medikament gewöhnen und seine Dosis unter ärztlicher Kontrolle richtig eingestellt werden muss, könne die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt sein.
Für Polizeikontrollen: Ärztliches Attest mitführen
Auch bei legalem, medizinischem Cannabis empfiehlt es sich, für den Fall einer Polizeikontrolle ein ärztliches Attest mitzuführen. Sollte nachgewiesen werden können, dass das cannabishaltige Medikament missbräuchlich eingenommen wurde, kann die Fahrerlaubnis entzogen werden. Wie viele Unfälle sich im Jahr unter Medikamenteneinfluss ereignen, lässt sich nach Auskunft des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) nicht mit konkreten Zahlen greifbar machen. Grund dafür ist, dass sich ein Medikamenteneinfluss sich nicht in allen Fällen eindeutig und ausschließlich nachweisen lässt – anders als etwa bei Alkohol. Experten gehen daher von einer hohen Dunkelziffer aus.
Arzneimittel: Viele Autofahrer unterschätzen Nebenwirkungen
„Viele Autofahrer wissen nicht oder unterschätzen, wie sehr Arzneimittel ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen können“, warnt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR). Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Patienten erleben die Einnahme nicht als bewusstseinsirritierenden Rausch. Sie verbinden mit Arzneimitteln Positives – nämlich Heilung und Gesundung. Und sie unterschätzen oft deren Nebenwirkungen. Schon eine Spritze beim Zahnarzt zur örtlichen Betäubung könne die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, sagen Experten.
Fünf Prozent der zugelassenen Medikamente enthalten Warnhinweise
Teilnahme am Straßenverkehr – ja oder nein?: Das ist keineswegs nur bei exotischen Medikamenten wie Medizinal-Cannabis ein Thema. 55.000 Medikamente sind in Deutschland zugelassen. Laut „Roter Liste“ (Verzeichnis aller im Handel befindlichen Medikamente) enthalten rund 30 Prozent aller Präparate im Beipackzettel Warnhinweise zum Führen von Kraftfahrzeugen oder dem Bedienen von Maschinen. Fachleute gehen davon aus, dass sich mindestens 2.800 (oder fünf Prozent) dieser Präparate definitiv negativ auf die Teilnahme am Straßenverkehr auswirken können. Dabei können nicht nur verschreibungspflichtige Medikamente zum Risikofaktor beim Fahren werden – sondern auch frei verkäufliche wie Schmerzmittel oder Schnupfensprays. Hinzu kommt, dass eine ganze Reihe von Medikamenten Alkohol im zweistelligen Prozentbereich enthalten.
Die „Aktion Das Sichere Haus" mit Sitz in Hamburg ist eine Kooperation von Verbänden und Institutionen, die sich dem Unfallschutz in Heim und Freizeit verpflichtet fühlen. Ministerien und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand gehören ihr an, der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Berufsgenossenschaften und Hausfrauenverbände.
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