Digitalisierung soll zur besseren Schmerzversorgung beitragen

In der Medizin spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle – Foto: ©vege - stock.adobe.com
Moderne Kommunikationsmedien, Digitalisierung und Vernetzung sind Themen, die in der Zukunft alle Beteiligten im Gesundheitswesen noch viel mehr beschäftigen werden als jetzt schon. Dazu gehören Fragen wie: Wo sind die Grenzen des aktuell technisch Machbaren? Wo bewegen wir uns in ethischen Grenzbereichen der Medizin? Ein Fazit teilte die Deutsche Gesellschaft für Schmerz- und Palliativmedizin (DGS) e.V. bei der Auftakt-Pressekonferenz zum 29. Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt mit: Durch eine enge Verknüpfung von Kommunikation, im Sinne einer stärkeren direkten Interaktion von Betroffenen und Ärzten und dem Ziel, die Versorgung von Menschen mit akuten oder chronischen Schmerzen flächendeckend zu verbessern und zu individualisieren, ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen nach Ansicht der DGS sinnvoll.
Versorgung von Schmerzpatienten unzureichend
"Schmerzmedizin 4.0 beschreibt aus meiner Sicht eine Entwicklung, die uns aus der Beschaulichkeit etablierter medizinischer Versorgungslandschaft reißt", erklärte der DGS- und Kongresspräsident Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe zu Beginn der Auftakt-Pressekonferenz. Insbesondere die Situation, in der sich Patienten mit chronischen Schmerzen mangels eines umfassend weitergebildeten "Facharztes für Schmerzmedizin" befinden, erfordert sowohl bei der Diagnostik als auch in der Therapie, über aktuelles Wissen und Fähigkeiten hinaus, intensive Kooperation, Kommunikation und Vernetzung. "Dem steht ein völlig überlastetes, zähes arztzentriertes Versorgungssystem mit hohen Verzögerungen entgegen", so Müller-Schwefe.
Im Jahr 2050 erwarten Experten eine Verdreifachung der Menschen, die über 90 Jahre alt sind und in der überwiegenden Mehrzahl pflegebedürftig sind und Schmerzen haben. Wie die Lösung dieses gigantischen Problems aussehen soll, wenn die Versorgung schon jetzt defizitär ist und kein ausreichender Nachwuchs in Sicht ist, ist noch völlig unklar. Denn nach wie vor stehen der hohen Zahl an betroffenen Menschen nur etwas über tausend spezielle Schmerztherapeuten gegenüber, von denen weniger als die Hälfte überwiegend Schmerzpatienten behandeln. Nach Einschätzung der Experten wird sich "diese grotesk unzureichende Versorgungslage" in einer rapide alternden Gesellschaft noch weiter verschlechtern. "Die gegenwärtigen Arbeits- und Vergütungsstrukturen in der Schmerzmedizin müssen dringend attraktiver gestaltet werden", erklärte DGS-Vizepräsident Dr. Oliver Emrich.
Innovationen intelligent nutzen
Die Zukunft der Schmerzmedizin liegt aber nicht nur in der Verbesserung der Ausbildung von Ärzten und der Sicherstellung der Versorgung in der Breite, sondern vor allem in der intelligenten Nutzung von Innovationen im Versorgungsalltag, so die DGS. Ärzte und Patienten könnten demnach einen großen Nutzen aus digitalen Anwendungen ziehen. Wichtige Themen sind dabei auch das Einbinden von Social Media und Smartphones sowie ein zukunftsgerichtetes multimodales Versorgungs- und Schmerzmanagement. Um die Versorgungslage der Patienten realistisch abbilden zu können, vernetzt die DGS als führende Versorgergesellschaft mit dem digitalen "DGS-PraxisRegister Schmerz" bisher als einzige Fachgesellschaft anonymisiert Patientendaten und fachliche Expertise.
Bis heute wurden insgesamt von den Nutzern des PraxisRegisters circa 190.000 Behandlungsfälle über das iDocLive®-System dokumentiert und rund 850.000 Patientenbefragungen durchgeführt. Im Dezember 2017 nutzten rund 3.500 Betroffene das Dokumentationstool zur Evaluation ihrer Schmerzen. "Damit haben wir eine ausreichende Grundlage geschaffen, um effiziente Versorgungsforschung zu betreiben", berichtete PD Dr. Michael A. Überall, DGS-Vizepräsident und Präsident der Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL). Universell nutzbare elektronische Dokumentationsplattformen bauen Kommunikationsbarrieren und Wissenslücken ab und versetzen damit alle an der Versorgung Beteiligten (auch Patienten) auf den gleichen Kenntnisstand, erklärten die Experten. Nur so besteht eine Chance, alte Versorgungsstrukturen aufzubrechen und etablierte Berufsbilder zu revolutionieren.
Prävention von Schmerzen stärken
Wie wichtig es ist, Ärzten, Patienten und Krankenkassen eine Orientierungshilfe an die Hand zu geben, erklärte DGS-Vizepräsident Dr. Johannes Horlemann anhand des Einsatzes von Cannabis in der Schmerzmedizin: "Seit der Gesetzesänderung Anfang 2017, durch die Cannabinoide zulasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen, tauchen immer wieder neue Fragen auf - sei es bei der Auswahl der Darreichungsform, der Dosierung, den Indikationen oder auch beim Verordnungsprozedere", so seine Erfahrung aus der Praxis.
Auch in der Prävention gibt es aus Sicht der Experten noch großen Aufklärungsbedarf: "Es könnte weitaus häufiger bereits frühzeitig eine Schmerzbehandlung auch bei Erkrankungen in Betracht gezogen werden, die zunächst gar nicht mit Schmerzproblemen assoziiert werden. Dazu gehören Parkinson, Apoplexie, Demenz und auch Diabetes. Hier gibt es eine hohe Prävalenz von Schmerzen, die vermeidbar wären", erklärte Emrich. Selbst in der Onkologie, in der tumorbedingte Schmerzen sehr häufig auftreten, kommt der präventiven Schmerzbehandlung eine viel zu geringe Bedeutung zu.
Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag ist mit seinen fast 2.000 Teilnehmern der größte deutsche Versorgungskongress für den Bereich Schmerz. Veranstalter sind die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V., die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Palliativversorgung e.V. und die Deutsche Schmerzliga e.V.
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