
Zähne und Psyche stehen in einer Wechselwirkungsbeziehung. Um bei Knirschen die Zahnsubstanz vor Schäden zu schützen, kann eine individuell angefertigte Kunststoffschiene helfen. – Foto: ©Andrey Popov - stock.adobe.com
Karies, freiliegende Zahnhälse, der Durchbruch von Kinder- oder Weisheitszähnen: All das kann richtig weh tun - höllisch sogar. Aber die Ursache ist in diesen Fällen meist schnell gefunden, weil man sie sehen und lokalisieren kann. Zahnschmerzen können aber auch auftreten, obwohl Zähne, Zahnfleisch und Kiefer völlig gesund sind. Dann strahlt der Schmerz von anderen Körperpartien in die besonders empfindliche Mundpartie aus: von einer entzündeten Nasennebenhöhle bei einer Erkältung im Winter; aus Richtung Ohr bei einer Mittelohrentzündung; und in seltenen Fällen sogar aus dem Brustkorb bei Herzerkrankungen. Als dritte Form existiert schließlich eine phantomhafte Sorte von Zahnschmerzen: Diese verursachen Leid, obwohl der Zahnarzt überhaupt keine körperlichen Ursachen feststellen kann.
Zahnprobleme können einem rund um die Uhr das Wohlbefinden rauben und einem aufs Gemüt schlagen. „Was viele nicht wissen: Das trifft auch umgekehrt zu“, heißt es in einer Infobroschüre der Zahnärztekammer Berlin zur psychosomatischen Form von Zahnschmerzen. „Wenn man im Alltag unter Druck steht oder von Ängsten geplagt ist, genervt von Problemen oder Überlastung, wenn man sich nicht mehr wohlfühlt – dann bekommen dies oft auch die Zähne zu spüren.“ Nicht umsonst habe der Volksmund einige treffende Weisheiten zum Thema Seele und Zähne hervorgebracht: verbissen an eine Aufgabe herangehen, sich durch ein Problem durchbeißen, oder tapfer die Zähne zusammenbeißen. Wenn Stress, Kummer oder Ängste zu lange verdrängt statt verdaut werden, kann es sein, dass sich die geplagte Psyche durch physische Beschwerden Gehör verschafft – zum Beispiel durch Schmerzen in den Zähnen.
Zähneknirschen gefährdet die Zahnsubstanz
Knirschen: Nicht bewältigte Stress-Situationen können zu Knirschen oder angespanntem Zusammenpressen der Zähne führen. Fast alle Menschen Knirschen gelegentlich mit den Zähnen.Dies geschieht meist unbewusst – tagsüber in Stressituationen, die an frühere erinnern, und nachts im Schlaf bei inneren Verarbeitung von inneren Themen und Problemen. Etwa fünf Prozent der Deutschen knirschen allerdings so stark, dass es die Zähne angreift. Erst werden die Höcker auf den Zähnen abgerieben, später der Zahn selbst. Zähne können sich lockern und ausfallen.
Die Muskeln im Mund gehören zu den stärksten im menschlichen Körper überhaupt. Beim Knirschen oder Zusammenpressen der Zähne werden enorme Kräfte frei. Auf den Backenzähnen kann hier leicht ein Druck von über 400 kg entstehen – das Zehnfache wie im Normalfall. Die Zahnwurzeln im Kiefer werden extrem belastet und drücken auf den Knochen, die Kaumuskulatur verspannt und verhärtet sich. Anhaltende Kiefergelenk-, Gesichts- oder Kopfschmerzen können die Folge sein. Bei einer zahnärztlichen Untersuchung wird man wahrscheinlich keine Ursachen finden. Die Zahnprobleme sind hier Folge, nicht Ursache der seelischen Verspannung.
Behandlungsmöglichkeiten: Zahnmedizinisch können die Zähne mit einer Kunststoff-Schiene geschützt werden, die nachts zwischen die Zahnreihen von Ober- und Unterkiefer gesteckt wird. Mit psychotherapeutischer Hilfe können die Belastungen und der Stress erkannt und abgebaut oder in eine andere, nicht gesundheitsschädliche Richtung zum Abreagieren umgelenkt werden.
Stress und seine Folgen für die Mundgesundheit
Stress reduziert die Speichelproduktion, die Remineralisation der Zähne verändert sich. Die Zähne werden dadurch anfälliger für Karies. Durch die verminderte Speichelproduktion steht auch weniger Immunglobulin A (Antikörper) zur Verfügung, dadurch entstehen leichter Entzündungen (zum Beispiel am Zahnfleisch). Gleichzeitig steigt der Anteil eines Immunbestandteils (Interleukin- 1Beta) an, der die Knochenzerstörung fördert und zu Parodontose führen kann.
Anhaltende und unerklärbare Schmerzen
Zunge oder Zahnfleisch „brennen“. Eine Kieferseite ist nicht schmerzfrei belastbar, obwohl kein Zahn auf Drucktest reagiert. Wenn zahnärztliche wie ärztliche Diagnose nichts ergeben, spricht vieles für eine Fehlprogrammierung im Schmerzgedächtnis. Hier können geeignete psychotherapeutische Verfahren helfen. Es kommt vor, dass der Zahnarzt trotz sorgfältiger Untersuchungen keine organischen Ursachen für ein zahnmedizinisches Problem findet und eine ambulante Psychotherapie angeraten ist
Wechselwirkung Psyche-Zähne: Hier gibt es Hilfe
Patientenberatungsstelle „Seele und Zähne“:
Wenn Zahnärzte oder Psychotherapeuten vermuten, dass hinter den zahnmedizinischen Symptomen des Patienten seelische Konflikte stehen oder hinter seelischen Belastungen zahnmedizinische Aspekte, hilft kostenfrei die bundesweit erste fachübergreifende
Beratungsstelle „Seele und Zähne“. Zahnärztehaus Berlin-Halensee. Terminvereinbarungen: 030 89 00 4-00
Zahnärzte mit psychosomatischer Kompetenz:
Zahnarztpraxen, die dem Thema Psychosomatik besonders vertraut sind,
sind auf der Website der Zahnärztekammer Berlin zu finden: Stichwort ‚Zahnarztsuche’, im Feld „Detailsuche/alle Tätigkeitkeitsschwerpunkte“ den Begriff „Psychosomatik“ anklicken.
Psychotherapeuten mit Expertise in Zahn-Themen:
Es gibt auch Psychotherapeuten, die auf psychosomatische Probleme im Zusammenhang mit Zähnen spezialisiert sind. Bei der Psychotherapeutensuche hilft das Servicetelefon der Psychotherapeutenkammer Berlin (Tel. 030 887140-20, dienstags von 14 bis 17 Uhr und donnerstags von 10 bis 13 Uhr).
Der "Tag der Zahnschmerzen" ist ein weltweiter Aktionstag und findet jedes Jahr am 9. Februar statt.
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