Warum die Digitalisierung im Gesundheitswesen nur langsam voran geht

– Foto: Gesundheitsstadt Berlin
Warum es mit der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen nur langsam voran geht, erörterten Experten auf der Eröffnungsveranstaltung des Digitalforums Gesundheit am 20. Mai 2022 in Berlin. Ein Beispiel: Weniger als ein Prozent der Versicherten verfügt über die bereits 2021 gestartete elektronische Patientenakte (ePA). Das erklärte Dr. Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium.
Das sei "ein Potential an Daten, das nicht gehoben wird", kritisierte die promovierte Versorgungsforscherin. Die ePA soll die Behandlung verbessern, denn damit erhalten alle Beteiligten, vom Arzt bis zum Apotheker, einen Einblick in bisherigen Diagnosen, Therapien und die Medikation. Und das auch nur, wenn der Patient das möchte. Doch dazu müssen die Daten in der digitalen Akte gespeichert werden. Eine technische Hürde stellen unter anderen die unterschiedlichen Praxis-Software-Systeme der niedergelassenen Ärzte dar.
"Warum nicht festlegen, dass nur noch die Ärzte mit der Kasse abrechnen dürfen, deren Praxissoftware eine offene Schnittstelle hat?", schlug Moderator und Health Entrepreneur Prof. Jörg Debatin vor. "Die Software-Hersteller durch gesetzliche Auflagen dazu bringen, offene Schnittstellen einzurichten", empfielt Prof. Ralf Kuhlen, Konzerngeschäftsführer Medizin bei Helios. In den USA gebe es bereits ein entsprechendes Interoperabilitätsgesetz, ergänzte Prof. Sylvia Thun vom Berlin Institute of Health.
Chronisch kranke Patienten überwacht daheim behandeln
Doch auch bei den gesetzlichen Krankenkassen sah das Podium Hemmnisse für die weitere Verbreitung der ePA. Zum einen weil die Kassen teils eigene Versionen der ePA anbieten. Zum anderen, weil der bürokratische und technische Aufwand, um eine elektronische Patientenakte zu erhalten, recht groß zu sein scheint. Markus Holzbrecher-Morys, Geschäftsführer E-Health der Deutschen Krankenhausgesellschaft, versucht es seit einem dreiviertel Jahr und hatte noch keinen Erfolg.
Die Digitalisierung könnte zugleich die von der Ampel-Koalition geplante Krankenhausreform beschleunigen, die auf einen Abbau von Kliniken und Betten setzt, so Moderator Debatin. In den USA geschieht das bereits. Wie die Möglichkeiten von Home-Health und Telemedizin dort genutzt werden, hat Prof. Erwin Böttinger (Hasso-Plattner-Institut Potsdam) am Mount Sinai Hospital in New York miterlebt. Dort werden Patienten mit den nötigen Überwachungsgeräten daheim behandelt. Abweichende Werte können frühzeitg erfasst und dann gegengesteuert werden. Diese Behandlungsform eigne sich für chronische Erkrankungen, nicht für Akut-Patienten oder Notfälle.
Warum die Digitalisierung im Gesundheitswesen nur langsam voran geht
Das bestätigt Prof. Jens Scholz, Vostandvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Erkrankte per Telemedizin daheim zu versorgen, bedeutet in einem Flächenland eine große Erleichterung, so müssten zum Beispiel Diabetes-Patienten nur einmal im Quartal in die Klinik fahren.
Nicht nur aufwändiges medizinisches Gerät, sondern übliche Smartphones oder Smartwatches können Alltagsdaten der Patienten aufzeichnen. Diese Daten müssten nur entsprechend vernetzt und nutzbar gemacht werden. Doch der Datenschutz ist ein wichtiger Grund, warum die Digitalisierung im Gesundheitswesen nur langsam voran geht. Vieles, was in anderen Ländern praktiziert wird, ist hierzulande verboten. Die EU-Datenschutz-Gesetze würden falsch und zu streng ausgelegt, waren sich die Experten einig.
Die Helios-Gruppe etwa betreibt auch Kliniken in Spanien, wo digitale Techniken viel stärker eingesetzt werden. "Da bekomme ich die Befunde auf mein Handy", sagt Prof. Kuhlen. Digitalisierung sei kein Selbstzweck, sondern soll die Produktivität verbessern und Kosten und Zeit sparen, was dem Patenten zugute kommt.
Patienten checken an Terminals selbst ein
Zuspruch fand das 2020 erlassene Krankenhauszukunftsgesetz, das Kliniken dazu ermuntert, die Digitalisierung voran zu treiben. Der jeweilige Status der Häuser wurde mit einem von Prof. Thun entwickelten Digital-Radar abgefragt. Belohnt werden die Beühungen mit einer Übernahme der Beriebsausgaben. Das müsste über 2024 hinaus weiter laufen, forderte Holzbrecher-Morys.
Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein war schon vor dem Gesetz digitaler Vorreiter in der Region. "Bei uns wird nichts mehr ausgedruckt", so Prof. Scholz. Die Patienten checken sich an Terminals in der Eingangshalle selber ein.