„Sitzen in einer Unterfinanzierungsfalle”

Herr Baum, wie geht es den deutschen Krankenhäusern?
Baum: Die Erlössituation hat sich ab 2014 etwas verbessert. Die Zahl der defizitären Häuser ist leicht zurückgegangen, von rund 40 auf 33 Prozent. Die Tatsache, dass immerhin noch jede dritte Klinik rote Zahlen schreibt, zeigt aber, dass wir ein strukturelles Problem haben.
Auf die Probleme kommen wir gleich noch zu sprechen. Interessant ist zu hören, was die Erlössituation verbessert hat.
Baum: Das liegt im Grunde genommen an der guten wirtschaftlichen Entwicklung. Von der Grundlohnrate hängen die Landesbasisfallwerte ab, die wiederum die Erhöhung der Fallpauschalenpreise bestimmen. Und weil es der deutschen Wirtschaft im Augenblick sehr gut geht, sind auch die Preise für die DRGs gestiegen. Kurzum: Es kam etwas mehr Geld in den Krankenhäusern an.
Wo bleibt Ihr Aber?
Baum: Mein Einwand ist, dass zum Beispiel die 2,7 Milliarden Mehreinnahmen im Jahr 2015 gleich wieder aufgefressen wurden.
Ach ja, durch was?
Baum: Das liegt einmal an den Tarifsteigerungen und den höheren Kosten für insgesamt mehr Personal. Wenn wir die DRG-Preiserhöhung von 2,0 Prozent mit den 2,5 Prozent Tarifsteigerungen vergleichen, wird schon deutlich, dass die Kosten-Erlös-Schere immer noch auseinandergeht. Hinzu kommen die fehlenden drei Milliarden für Investitionen plus ein weiteres Milliardendefizit in den Notfallambulanzen. Wie sollen Krankenhäuser ein marodes Gebäude sanieren, wenn Sie das aus den laufenden Betriebskosten finanzieren müssen, die aber nicht einmal für das Personal reichen. Das meine ich mit strukturellen Problemen: Wir sitzen in einer Unterfinanzierungsfalle, aus der wir nicht rauskommen, wenn die zentralen Defizitquellen nicht beseitigt werden.
Könnten Krankenhäuser die Defizite denn mit mehr Menge kompensieren? Die Patientenzahlen steigen doch.
Baum: In der Tat hatten wir in 2015 rund 91.000 Behandlungsfälle mehr. Es wurden aber auch mehr Leistungen erbracht, mehr Personal eingestellt, mehr für Medikamente und Patientenversorgung ausgegeben usw. Für Überschuss bleibt da wenig bis kein Spielraum.
Müssen die Kliniken nicht sogar eine Art Mengenrabatt abführen?
Baum: Sie meinen sicher den Fixkostendegressionsabschlag und die Mehrerlösausgleiche. Wenn Krankenhäuser zum Beispiel 10 Geburten mehr vereinbaren als im Vorjahr, bekommen sie für diese zusätzlichen Fälle 35 Prozent von der Fallpauschale abgezogen und für jeden weiteren nicht vereinbarten Fall sogar 65 Prozent Abzug.
Seit gut einem Jahr ist das Krankenhausstrukturgesetz in Kraft. Ihre Gesellschaft hat sich ja vehement für Nachbesserungen an dieser Krankenhausreform stark gemacht. Was ist dabei herausgekommen?
Baum: Wesentliche Vorteile des Gesetzes waren in 2016 noch nicht sichtbar, weil vieles noch im Umsetzungsprozess war. Aber in diesem Jahr werden die rund 2.000 Krankenhäuser Deutschlands Verbesserungen zu spüren bekommen. Die wohl wichtigste Neuerung ist, dass zusätzliche Leistungen nicht mehr die Preisbildung kollektiv belasten. Bisher haben Leistungsausweitungen preiskürzend auf die Landesbasisfallwerte gewirkt. Das hat alle betroffen, auch die, die gar keine Zuwächse hatten. Damit ist nun Schluss. Darüber hinaus gibt es weitere Einzelmaßnahmen wie das Pflegestellenförderprogramm, Finanzierungsverbesserungen für die Hochschulambulanzen, Zuschläge für Zentren oder die Gegenfinanzierung für mehr Personal in der Neonatologie. Das alles wird Effekte haben und die Kliniken zumindest partiell entlasten.
Was ist, wenn die Lohnkostenrate sinkt und die DRGs wieder in den Keller gehen?
Baum: Diese Gefahr ist natürlich da. Aber selbst wenn die Erlössituation so positiv bliebe, die zu erwartenden Tarifsteigerungen plus die genannten Milliardendefizite bei Investitionen und ambulanten Notfallleistungen werden die Erlöse aufbrauchen. Hinzu kommt, dass wir ja auch ständig neue Anforderungen zu erfüllen haben.
Sie meinen die neuen gesetzlichen Qualitätsvorgaben im Krankenhausstrukturgesetz?
Baum: Die Anforderungen steigen von G-BA-Sitzung zu G-BA-Sitzung. Die Kliniken müssen in verschiedenen Bereichen Personalschlüssel erfüllen, zum Beispiel eine gewisse Anzahl an Hygienefachkräften usw. All diese Qualitätsanforderungen sind mit hohen Kosten verbunden, vornehmlich für mehr Personal. Und das ist der größte laufende Ausgabenposten eines Krankenhauses.
Auf der anderen Seite fehlt es den Kliniken genau an Fachkräften.
Baum: Wir haben im ärztlichen Bereich rund 4.000 offene Stellen. Noch problematischer sieht es in der Pflege aus, wo aktuell 6.000 bis 10.000 Stellen unbesetzt sind. Die Sicherung des Personals bleibt eine der größten Herausforderungen für die Krankenhäuser überhaupt. Sie müssen die Kräfte finden, permanent neue ausbilden und alle möglichst gut und zufriedenstellen vergüten. Und an diesem Punkt schlägt das Investitionsdefizit wieder zu. Wenn wir mehr Geld für bessere bauliche Strukturen, für die digitalen Patientenakten in allen Kliniken und für modernste Geräte hätten – könnten Entlastungen für das Personal realisiert werden. Aber diese Mittel haben die meisten Häuser nicht.
Ihr Ausblick, Herr Baum, ist also nicht so rosig?
Baum: Insgesamt bleibt die Lage angespannt. Ich sehe nicht, dass die Krankenhäuser aus dieser grundsätzlichen defizitären Situation ohne Umsteuerung in der Politik herauskommen können. Mindestens 25 Prozent werden weiter rote Zahlen schreiben; in Einzelfällen kann das auch Schließungen bedeuten.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ist der Dachverband der Krankenhausträger in Deutschland. Sie vertritt die Interessen der 28 Mitglieder - 16 Landesverbände und 12 Spitzenverbände - in der Bundes- und EU-Politik und nimmt ihr gesetzlich übertragene Aufgaben wahr. Die 1.956 Krankenhäuser versorgen jährlich 19,2 Millionen stationäre Patienten und rund 18 Millionen ambulante Behandlungsfälle mit 1,2 Millionen Mitarbeitern. Bei 94 Milliarden Euro Jahresumsatz in deutschen Krankenhäusern handelt die DKG für einen maßgeblichen Wirtschaftsfaktor im Gesundheitswesen.