Bedürftigkeit: Warum werden Hilfsangebote oft nicht angenommen?

Hilfsangebote für Bedürftige sind meist gut gemeint, gehen aber häufig an der Realität vorbei – Foto: ©Srdjan - stock.adobe.com
Bedürftigkeit hat viele Gesichter: Menschen, die in Armut geraten sind und auf die Unterstützung sogenannter „Tafeln“ angewiesen sind, Obdachlose, Drogenabhängige, aber auch Menschen, die Opfer von Gewalttaten geworden sind. Sie alle sind in besonderer Weise auf Hilfe angewiesen – doch gerade diese erreicht sie oft nicht, selbst wenn sie eigentlich vorhanden ist. Um dies zu ändern hat sich die sogenannte niedrigschwellige Soziale Arbeit zum Ziel gesetzt, es Betroffenen möglichst leicht zu machen, sich helfen zu lassen.
Hilfsangebote: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander
In einer Studie mit Betroffenen unter anderem in Hildesheim und Hannover haben Professor Gitta Scheller, Verwaltungsprofessorin an der HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit, und die Studentin Lisa Dauer untersucht, wie die Angebote angenommen werden. Ihre Ergebnisse sind ernüchternd: „Der Zugang zu den Hilfsangeboten und ihre Nutzung sind durch eine Vielzahl von Hürden erschwert. Der Anspruch, niedrigschwellige Arbeit zu leisten und deren Einlösung in der Praxis klaffen auseinander“, so Scheller.
Für ihre Untersuchung haben die Forscherinnen Menschen befragt, die auf Angebote der Wohnungslosenhilfe, der Opferhilfe oder der Tafel angewiesen sind. Das Ergebnis: Es gibt vielfältige Hürden, die dazu führen, dass Menschen nicht die Hilfe erhalten, die sie brauchen. Wer beispielsweise bei der Opferhilfe nur den Anrufbeantworter erreiche, lege den Hörer wieder auf und melde sich womöglich nie wieder. Wer als Frau Gewalt durch einen Mann - oder umgekehrt - wer als Mann Gewalt durch eine Frau erfahren habe, möchte sich vielleicht lieber einem Sozialarbeiter des eigenen Geschlechts anvertrauen. Ein weiteres Thema war die fehlende Anonymität. In einem Büro, in dem mehrere Sozialarbeiter gleichzeitig Beratungen mit Klienten durchführen, sei eine vertrauliche Atmosphäre eben nicht gewährleistet.
Bedürftige wollen wie „normale“ Menschen behandelt werden
Ein weiteres Problem bei der Inanspruchnahme von Hilfsangeboten ist das Gefühl der Scham. Es sind aber auch scheinbar „einfache“ Dinge, die Menschen davon abhalten, sich Hilfe zu suchen. So ist beispielsweise die Ausstattung von Tagestreffs oder Übernachtungsmöglichkeiten nicht derart, dass sich die Menschen dort wohlfühlen. Wer sich aber – wie in einigen der Antworten Betroffener deutlich wurde – mit „versifften“ Toiletten, „verwanzten“ Matratzen, grellem Licht, ungemütlichen Essräumen und ohne die Möglichkeit von Rückzugsmöglichkeiten konfrontiert sieht, fühlt sich nicht nur unwohl, sondern auch als Mensch abgewertet.
Konflikte zwischen verschiedenen Zielgruppen schrecken viele ab
Die Studie zeigt weiter, dass der Anspruch der Zielgruppenoffenheit, also der Wunsch, allen Bedürftigen den Zugang zum Beispiel zu den Tagestreffs zu ermöglichen, auch zu Konflikten zwischen den verschiedenen Nutzergruppen führen kann - beispielsweise zwischen schwer Alkohol- und Drogenabhängigen und jenen, die sich als gesund definieren. Träfen letztere zum Beispiel in den Tagestreffs der Wohnungslosenhilfe auf Nutzende mit antisozialem oder sonstwie abweichendem Verhalten würden sie daran gehindert, ihr Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten. Für sie würden Einrichtungen der niedrigschwelligen Sozialen Arbeit mit diesem Publikum zu unattraktiven Orten.
Wie kann niedrigschwellige Sozialarbeit funktionieren?
Niedrigschwellige Hilfsangebote wurden eigentlich gerade dafür eingerichtet, schwer erreichbaren Zielgruppen schnellen Zugang zu sozialer Hilfe zu eröffnen. Die Hürden sollen dabei möglichst niedrig, die Anforderungen an die Hilfsbedürftigen gering sein. Eine der Voraussetzungen ist es, die Bedürftigen erst einmal so anzunehmen, wie sie sind, und keine Gegenleistungen für die Hilfsangebote zu erwarten.
Dem Ergebnis der aktuellen Studie zufolge funktioniert die Umsetzung dieser Idee jedoch nur bedingt. „Niedrigschwellige Soziale Arbeit ist nach unseren Befunden eine Illusion“, so das ernüchternde Ergebnis der Forscherinnen. „Die Hilfsangebote müssen stärker als bisher an den Bedürfnissen, den kulturellen Kompetenzen und Praktiken der Nutzenden orientiert sein, wenn sie angenommen werden sollen.“
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