
Ungünstige Prognose: Gliome grenzen sich meist schlecht vom umliegenden Gewebe ab und lassen sich daher fast nie vollständig entfernen
Gebannt schaut die Welt derzeit auf eine Reihe von klinischen Studien, in denen die Wirksamkeit von zwei neuen Substanzen beim Glioblastom, dem häufigsten und aggressivsten aller Hirntumoren, getestet wird. Die beiden Angiogenesehemmer Bevacizumab und Cilengitide haben sich als einzige neue zielgerichtete Substanzen in prä-klinischen Studien behaupten können, berichteten Mediziner auf dem 31. Hirntumorinformationstag der Deutschen Hirntumorhilfe am 10. November in Berlin. Alle anderen bislang verfügbaren „Targeted therapies“ hätten beim Glioblastom mehr oder weniger versagt. Mit einer Rezidivrate von über 95 Prozent hat das Glioblastom eine äußerst ungünstige Prognose. Ein Fünf-Jahres-Überleben gibt es praktisch nicht.
Eine Wunderwaffe sind auch Angiogenesehemmer nicht
Umso wichtiger wäre jetzt eine Erfolgsmeldung für die rund 7.000 Menschen, die jedes Jahr an einem Hirntumor erkranken, und ihre Angehörigen. Ob der Angiogenesehemmer Avastin (Bevacizumab) aber tatsächlich das Fortschreiten der Erkrankung signifikant verzögern kann, wie es der Pharmakonzern Roche im August aufgrund erster Zwischenergebnisse der AVAGLIO-Studie verkündet hat, bleibt nach Einschätzung deutscher Hirntumorexperten abzuwarten. Verhalten optimistisch äußerte sich etwa Professor Herwig Strik, Oberarzt an der Neurologischen Klinik der Universität Marburg. Die antiangiogene Therapie werde die Überlebenszeit sicher ein wenig verlängern, eine Wunderwaffe sei sie aber nicht. „Obwohl wir in einigen Fällen sehr gute Verläufe sehen, ist der große Durchbruch in der Klinik bislang ausgeblieben“, sagte Strik am Samstag in Berlin. Insbesondere die Patienten, die auf eine Chemotherapie mit Temozolomid schlecht ansprechen, hätten nicht von den Angiogenesehemmern profitiert. Um den Stellenwert der antiangiogenen Therapie einschätzen zu können, müsse man die endgültigen Ergebnisse der großen Vergleichsstudien abwarten. Mit ersten Daten rechne man im Sommer.
Als lebensverlängernde Maßnahme wird der Antikörper Avastin, der die Bildung neuer Blutgefäße unterdrücken und den Tumor somit „aushungern“ soll, heute schon an vielen deutschen Tumorzentren zur Behandlung des Glioblastoms eingesetzt. Im Gegensatz zu den USA und zwei Dutzend anderen Ländern steht eine entsprechende Zulassung in Europa noch aus.
Neurochirurgen operieren heute Rezidive zwei- oder dreimal. Vor zehn Jahren haben sich das nur wenige getraut
Während die großen Erfolgsmeldungen bei den neuen Substanzen bislang ausgeblieben sind, hat es in den letzten zehn Jahren doch ein paar bemerkenswerte Fortschritte in der Hirntumortherapie gegeben, hieß es am Samstag in Berlin. Vor allem verbesserte Operationstechniken – einschließlich präoperativer Funktionsdiagnostik und moderner Bildgebung wie PET-CT – haben in Kombination mit neuen Chemotherapien (Temozolomid) und Radiotherapie zu einer verbesserten Lebensqualität und längeren Überlebenszeit der Patienten geführt. Ein Viertel aller Patienten mit Glioblastom lebt heute immerhin noch vier Jahre nach der Diagnose. Vor zehn Jahren überlebte kaum ein Patient das erste Jahr. Maßgeblich für die besseren Behandlungserfolge sei auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Tumorzentren, betonten die Hirntumorexperten.
Insbesondere bei der Rezidivtherapie sei man heute ein ganzes Stück weiter als noch vor zehn Jahren, sagte der Direktor der Neurochirurgischen Klinik der Charité, Professor Peter Vajkoczy. Das Argument, dass man bei rasch auftretenden Rezidiven nichts mehr tun könne, sei inzwischen widerlegt. „Wir wissen heute, dass eine erneute Operation in den meisten Fällen sehr sinnvoll ist, weil wir damit neurologische Defizite vermeiden oder verbessern können“, so der Neurochirurg. Eine Operation habe den weiteren Vorteil, dass durch die Verkleinerung des Tumors Schwellungen zurückgehen und eine anschließende Chemotherapie besser wirken könne. Wichtig sei zudem, die Histologie des Rezidivs zu bestimmen. „Die Genetik des Rezidivs muss mit dem ersten Tumor nicht unbedingt identisch sein, beeinflusst aber die weitere Therapiefolge“, unterstrich Vajkoczy.
Bei allen Fortschritten und unzähligen weiteren Therapieoptionen, die momentan in der Forschungspipeline sind, darunter auch Schwerionentherapie, Immuntherapie oder Gentherapie: Aufgrund ihrer Invasivität, also des Einwanderns von Tumorzellen in das umliegende Gewebe, werden Glioblastome wohl auf absehbare Zeit unheilbar bleiben. Als Fazit des 31. Hirntumorinformationstags dürften die Teilnehmer zumindest eine Botschaft mit nachhause genommen haben: Es tut sich etwas in der Hirntumortherapie, der große Durchbruch lässt jedoch auf sich warten.
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