Virologe Kekulé warnt vor Infektionslawine: Ein Infizierter steckt statistisch drei weitere Menschen an

Virologe Alexander Kekulé: Wenn wir jetzt nicht die Schulen bundesweit schließen, droht eine Infektionslawine
Schon vor Wochen hat der Virologe Alexander Kekulé eine bundesweite Schließung von Schulen und Kindergärten empfohlen. Gestern hat sich die Politik dagegen entschieden. Eine Fehlentscheidung, meinte Kekulé im ZDF-Express am Freitag. „Die Schließung von Schulen und Kindergärten ist absolut alternativlos. Die Frage ist nur, ob wir es heute machen oder ersten in ein paar Wochen“, so der Direktor des Institutes für Medizinische Mikrobiologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Seine Rechnung geht so: Ein unerkannt infiziertes Kind steckt statistisch zwei bis drei weitere Menschen pro Woche an. Das bedeutet eine Verdreifachung der Infizierten in einer Woche. „Dann haben Sie innerhalb von wenigen Wochen eine Infektionslawine, die Sie nicht mehr kontrollieren können“, sagte er.
Exponentieller Anstieg der Infektionszahlen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden
Das Argument, dass die allein erziehende Krankenschwester bei einer Schulschließung eventuell nicht mehr zur Arbeit kommen könne, hält Kekulé für kurzsichtig. Man müsse sich klar machen, wenn die Kinder der Krankenschwester nicht zuhause blieben, dann stecke das Kind seine Mutter an, dann steckten das nächste und das übernächste Kind auch ihre Mütter an.
Dann habe man statt einer ausgefallen Krankenschwester nach einer Woche 9 und nach einer weiteren Woche 27 arbeitsunfähige Krankenschwestern und so weiter. „Der Schaden für die Infrastruktur, über die hier immer gesprochen wird, wird viel, viel größer, wenn wir die Maßnahme nicht ergreifen", warnt der Virologe und Epidemiologe.
70 Prozent Infizierte sind Horrorszenario
Etwa 60 bis 70 Prozent der Menschen in Deutschland werden sich nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts mit dem Virus anstecken. Diese Zahl wird auch vom Charité-Virologen Christian Drosten seit Wochen in Talkshows verbreitet, der das Bundesgesundheitsministerium berät.
„Das ist ein absolutes Horrorszenario“, sagte dazu Experte Kekulé. Bei einer Sterblichkeit von 0,5 bis 1 Prozent würde das etwa 250.000 bis 500.000 Tote in Deutschland bedeuten, und zwar in den nächsten zwei Jahren. „Ich bin nicht der Meinung, dass man mit einem solch absoluten theoretischen Horrorszenario arbeiten sollte, auch aus psychologischen Gründen. Das ist ungeschickt.“
Schutzmaßnahmen schwächen den Verlauf
Aber es gebe auch praktische Gründe, warum man die Zahlen nicht linear hochrechnen könne: Zum einen werde irgendwann ein Impfstoff verfügbar sein, zum anderen gingen diese Berechnungen davon aus, dass überhaupt keine Maßnahmen ergriffen würden. Selbst vom Tierreich sei bekannt, dass ich Tiere bei Ausbruchsgeschehen anders verhalten. „Das ist natürlich auch bei Menschen so“, sagte Kekulé dem ZDF.
Schlimmstenfalls 40.000 Corona-Tote in Deutschland
Kekulé geht im schlimmsten Fall von 40.000 Corona-Toten in Deutschland in den nächsten zwei Jahren aus. „Das wäre dann eine Situation, wo wir immer noch handeln müssen, aber nicht so ein drastisches Szenario, wie es jetzt verbreitet wird.“
Kekulés Kalkulation beruht auf den Entwicklungen in Wuhan. Hier war die Bevölkerung anfangs nicht gewarnt, es gab keine Tests und die Regierung hat den Ausbruch zunächst verschleiert. Unter den sechs Millionen Einwohnern gab es 3.000 Corona-Tote.
Rechnet man diese Zahlen auf Deutschland um, dann kommt man eben nicht auf eine viertel bis halbe Million Tote wie das RKI, sondern auf 40.000. Aber auch das ist Kekulé zufolge nur das „Worst-Case-Szenario.“ Denn anders als die Bürger von Wuhan sind wir gewarnt und können uns schützen.
Virus ist schneller als die Politik
Entscheidend ist darum, was wir aus diesem Vorteil machen. Werden jetzt maximale Schutzmaßnahmen ergriffen, wie eben das Schließen von Schulen und Kindergärten und die Begrenzung von sozialen Kontakten, dann wird die Coronaepidemie deutlich glimpflicher verlaufen als anfangs in Wuhan.
Kekulé fürchtet aber, dass Deutschland gerade diesen Vorsprung verspielt. „Die Politik läuft den Ereignissen hinterher“, kritisiert er. „Das Virus ist schneller.“