Hohe Corona Dunkelziffer: Virologe Kekulé geht von einem Infizierten pro 1.000 Einwohnern aus

Virologe Kekulé beziffert die Dunkelziffer auf den Faktor 3. Somit könnten in Deutschland aktuell bereits über 80.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert sein – Foto: ©Maridav - stock.adobe.com
Bislang ist alles eingetreten, wovor der Virologe und Epidemiologe Alexander Kekulé schon vor Wochen gewarnt und geraten hat. Schulschließungen? Unverhältnismäßig. Absage von Großveranstaltungen? Nicht nötig. Welcher Politiker möchte schon Spielverderber sein und für die wirtschaftlichen Folgen gerade stehen?
Immerhin hätten das Robert-Koch-Institut (RKI) und der Charité-Virologe Christian Drosten noch bis Donnerstag von flächendeckenden Schulschließungen abgeraten, verteidigte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet bei Anne Will am Sonntagabend, 15. März, das wochenlange Zögern, die Schulen und Kitas bundesweit zu schließen. Also endlich die von Kekulé dringend empfohlenen Coronaferien einzulegen. Verantwortung wird wie immer weiter geschoben – diesmal geht es allerdings um Menschenleben.
Ein unentdecktes Kind steckt in 8 Wochen 3.000 Menschen an
Kekulé rechnete vor, dass ein unentdeckt infiziertes Kind – zum Beispiel nach dem Skiurlaub in Tirol – nach acht Wochen 3.000 Menschen angesteckt hat. Davon werden 200 bis 300 Menschen auf der Intensivstation behandelt werden müssen und etwa 15 überleben das nicht. „Ich glaube, das sagt alles, was da versäumt wurde“, so Kekulé. Armin Laschet entgleisen währenddessen die Gesichtszüge, wie so oft in der Sendung, wenn Kekulé der Politik ihre nicht wieder gut zu machenden Versäumnisse vorhält.
Nun steht das Land vor einem beispiellosen Shutdown: Die Fallzahlen steigen täglich in Tausenderschritten. Am Samstag gab es in Deutschland offiziell 3.000 bestätigte Corona-Infektionen. Bis zum Montagmorgen hat sich diese Zahl auf 5.813 nahezu verdoppelt. 13 Menschen sind bis dato an Covid-19 gestorben.
RKI-Zahlen blicken in die Vergangenheit
Doch die Zahlen, die veröffentlicht werden, seien immer nur ein Blick in die Vergangenheit, betont Alexander Kekulé. Denn bis eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus gemeldet wird, vergehen im Schnitt zehn Tage. Hierin sind die Inkubationszeit von durchschnittlich 5 Tagen, die Zeit bis zur Diagnose und die Zeit, bis aus einem Fall eine gemeldete Ziffer wird, enthalten.
Auf seinem Corona-Blog stellt der Virologe und Epidemiologe, der von 2003 bis 2015 in der Schutzkommission der Bundesregierung saß, Berechnungen auf, die das wahre Ausmaß des pandemischen Geschehens in Deutschland beschreiben.
Das wahre Ausmaß der Pandemie
Gemäß Robert Koch-Institut (RKI) hat sich zwischen dem 11. und dem 13. März die Zahl der gemeldeten Coronavirusinfektionen verdoppelt - von 1.500 auf 3.000.
Geht man davon aus, dass die Zahl 3.000 zehn Tage alt ist und multipliziert man die tatsächliche Zahl mit dem Faktor 3 - das ist die Dunkelziffer von nicht bestätigten Fällen – „ist nicht auszuschließen, dass in Deutschland bereits mehr als 80.000 Menschen infiziert sind“, rechnet Kekulé mit Stand vom 14. März vor. Bei 82 Millionen Einwohnern hieße das, dass aktuell jeder 1.000te infiziert ist.
Natürlich ist das nur ein statistischer Wert. Das individuelle Risiko auf einen Infizierten zu treffen, hänge vom Ort und vielen anderen Faktoren ab, erläutert Kekulé seine Überschlagsrechnung.
Doch da die rote Linie von 1:100 mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht ist, hat Kekulé am Samstag den Personal Alert Level (PAL) in Deutschland von gelb auf orange gesetzt. Das ist die vorletzte Stufe.
Orange heißt: Jeder muss persönliche Schutzmaßnahmen ergreifen.
Es sind fünf Schutzmaßnahmen, die der Mediziner empfiehlt.
- Komme anderen Gesichtern nicht zu nahe
- Wasche Dir die Hände, bevor Du Dir ins Gesicht fasst oder etwas isst (erfordert viel Selbstdisziplin)
- Umarme nur Menschen, mit denen Du Viren austauschen willst
- Betrachte öffentliche Innenbereiche als kontaminiert (zieh Dich um und wasch Dir die Hände, wenn Du nachhause kommst)
- Vermeide Kontakt zu anderen, wenn Du Husten oder Fieber hast.
Zu trennen von diesen persönlichen Schutzmaßnahmen sind die zum Schutz der Öffentlichkeit, wie wir sie gerade erleben.
Kekulé ist zwar der Meinung, dass jetzt das öffentliche Leben weitgehend einschränken solle (jetzt geht nur noch Schadensbegrenzung). Aber von einer Ausgangssperre wie in anderen Ländern hält er nichts. „Man kann das Land nicht in die Bude einsperren“, sagte er. Es spreche nichts dagegen, dass eine Familie im Park spazieren gehe, sagte er, solange sie anderen nicht zu nahe komme.
Ob drastische Maßnahmen, jetzt noch das Virus verlangsamen können, will Anne Will wissen. „Ich würde es mir wünschen, kann es aber nicht versprechen. Es wurde zu viel Zeit verschlafen.“
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