Suchterkrankungen immer noch stigmatisiert

Fast zwei Millionen Menschen in Deutschland sind von Alkohol abhängig
Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland gelten als alkoholabhängig, etwa 2,3 Millionen als süchtig nach Schlaf-, Schmerz- oder Beruhigungsmitteln. Da das Thema Sucht jedoch nach wie vor mit zahlreichen Vorurteilen behaftet ist, versuchen Betroffene oft, ihre Probleme zu verbergen, und verzichten dadurch auf die notwendige Hilfe. Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin forderten Suchtexperten daher einen offeneren Umgang mit Abhängigkeitserkrankungen sowie den Abbau von Barrieren im Gesundheitssystem.
Sucht hinterlässt Spuren im Gehirn
Entgegen der häufig vertretenen Meinung, bei einer Sucht handele es sich um Charakter- oder Willensschwäche, wissen Forscher heute, dass bei der Entstehung der Sucht verschiedene biologische, genetische, psychische und soziale Faktoren eine Rolle spielen. „Eine Suchterkrankung basiert auf einer Fehlsteuerung des Belohnungssystems im Gehirn“, erklärt Professor Falk Kiefer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Suchtmittel aktivieren verschiedene Botenstoffe, die zum Beispiel Wohlbefinden oder Euphorie auslösen. Dadurch lernt das Gehirn relativ schnell, ein bestimmtes Suchtmittel als positiven Reiz wahrzunehmen. Fehlt dieser Reiz, empfindet es eine Art Belohnungsdefizit – mit der Folge, dass der unkontrollierte Wunsch nach dem Suchtmittel entsteht.“
Sucht ist demnach eine Krankheit, deren Spuren sogar im Gehirn nachweisbar sind. Dennoch sind suchtkranke Menschen in unserer Gesellschaft immer noch stark stigmatisiert und erleben immer wieder Diskriminierung – zum Beispiel bei der Suche nach Arbeit und Wohnung. Rund 36 Prozent der Bevölkerung halten Sucht für eine selbstverschuldete Krankheit. Die Folge: Suchterkrankungen werden von den Betroffenen und ihrem sozialen Umfeld totgeschwiegen. Therapeutische Interventionen erfolgen daher oft erst in einem sehr späten Stadium der Abhängigkeit.
Bessere Versorgung der Betroffenen gewährleisten
Experten kritisieren zudem, dass auch das Gesundheitswesen noch nicht ausreichend für Suchterkrankungen sensibilisiert ist. Nicht alle Behandlungsmöglichkeiten werden ausgeschöpft, und immer noch erhalten zu wenig Betroffene angemessene Hilfe, wie Dr. Heribert Fleischmann, stellvertretender Leiter des DGPPN-Fachreferates für Abhängigkeitserkrankungen und Vorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), moniert.
Auch DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth erklärt: „Wir müssen Suchterkrankungen qualifiziert in das Gesundheitssystem integrieren und neben einem verbesserten Behandlungszugang auch einen nahtlosen Übergang in die Nachsorge sicherstellen." Sogenannte Stepped Care-Modelle könnten hier zukunftsweisend sein, so die Expertin. Suchterkrankungen sollten zudem stärker in der Öffentlichkeit thematisiert werden, da ein offensiver Umgang mit der Erkrankung längerfristig auch zu deren Entstigmatisierung beitrage.
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