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„Statine sind die am besten untersuchten Medikamente“

Mittwoch, 13. Dezember 2017 – Autor:
Statinen werden die unterschiedlichsten Eigenschaften nachgesagt. Wir haben dazu den Kardiologen Prof. Ulrich Laufs vom Universitätsklinikum Leipzig befragt. Im Interview klärt der Experte einige Irrtümer auf.
Prof. Ulrich Laufs

Prof. Ulrich Laufs

Herr Professor Laufs, Statine gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten in Deutschland. Essen wir zu fett und zu ungesund oder warum müssen Millionen Menschen täglich einen Cholesterinsenker nehmen?

Laufs: Da kann ich gleich mit einem Missverständnis aufräumen. Wir wissen heute, dass die Ernährung bei normalgewichtigen Menschen nur einen geringen Einfluss auf das LDL-Cholesterin im Blut hat. Das sogenannte Low Density Lipoprotein, das maßgeblich an der Gefäßverkalkung beteiligt ist, wird nämlich in der Leber reguliert. Wie hoch oder niedrig die Werte sind, hängt in erster Linie von der genetischen Disposition ab und nicht vom Essen.

Wollen Sie damit sagen, dass jemand mit erhöhtem LDL-Cholesterin guten Gewissens jeden Morgen ein Frühstücksei essen kann?

Laufs: Eier sind inzwischen rehabilitiert. Wenn sich jemand normal ernährt, sein Essen selber zubereitet und auch Grünes auf dem Teller hat, dann ist das Frühstücksei völlig in Ordnung, genau wie die Butter auf dem Brötchen. Hier hat eine Ernährungsumstellung nur eine minimale Auswirkung auf das Cholesterin. Anders sieht es bei Menschen mit starkem Übergewicht und Fehlernährung aus, die quasi aus der Fritteuse leben. In diesen Fällen kann eine entsprechende Diät durchaus den Cholesterinspiegel senken. Aber das auch nur in Grenzen. Denn wie gesagt, das LDL-Cholesterin im Blut wird von unserem Erbgut bestimmt. Darum können auch schlanke Menschen erhöhte Cholesterinwerte haben.

Diese Menschen brauchen dann Statine gegen die Gefäßverkalkung?

Laufs: Das lässt sich pauschal nicht so sagen. Ob jemand einen Cholesterinsenker braucht, hängt von seinem Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle ab. Es gibt nicht den einen Wert für alle. Was für den einen noch okay ist, kann den anderen schon gefährden, zum Beispiel weil er zusätzlich Diabetes hat.

Welche Patienten erhalten denn überhaupt Statine?

Laufs: Über Patienten mit erhöhten Cholesterinwerten und gleichzeitig hohem kardiovaskulären Risiko haben wir eben schon gesprochen. Die andere Gruppe sind Patienten mit einer Koronaren Herzkrankheit, also Menschen, die an verkalkten Gefäßen leiden und vielleicht schon einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten. Und dann gibt es natürlich noch die Schnittmenge daraus: Patienten mit Koronarer Herzkrankheit und erhöhtem Cholesterin. All diese Patienten haben ein erhöhtes Herzinfarktrisiko und gehören mit einem Cholesterinsenker behandelt.

Das bedeutet ja, dass auch Menschen, die gar keine Probleme mit ihrem Cholesterin haben, Cholesterinsenker nehmen sollten?

Laufs: Richtig. Wir wollen ja nicht Zahlen auf dem Zettel verbessern, sondern die Zahl der Schlaganfälle und den Herzinfarkte senken. Wenn Sie zum Beispiel schon einmal einen Herzinfarkt hatten, dann sind Sie gut beraten, für den Rest ihres Lebens Statine einzunehmen, auch wenn Ihre Cholesterinwerte nicht erhöht sind.

Wie gut machen die Medikamente ihren Job?

Laufs: Das Risiko ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, wird durch Statine pro Jahr um ein Viertel reduziert. Insofern profitieren die behandelten Patienten auf jeden Fall. Das geben sogar Pharmakritiker zu.

Immer wieder geistern widersprüchliche Schlagzeilen durch die Medien. Einmal machen Statine die Muskeln müde, ein anders Mal schützen sie vor Demenz. Was ist dran?

Laufs: Kein anderes Medikament ist so gut und so lange untersucht worden wie Statine. Und wenn sie so viele Menschen meist höheren Alters befragen, bekommen Sie eine riesige Bandbreite an vermeintlichen Nebenwirkungen berichtet. Dazu gehören dann eben auch Muskelbeschwerden, die aber ohnehin viele Menschen haben, auch wenn sie keine Statine nehmen. Eine Schädigung der Muskeln, erhöhte Leberwerte – ja das gibt es, aber es ist extrem selten. Tatsächlich können wir sagen, dass Statine sehr sicher sind und auch nach jahrzehntelanger Einnahme nicht an Wirksamkeit verlieren. Und was Ihre Frage nach Demenz betrifft: Das Gehirn macht sein eigenes Cholesterin. Ein direktes Antidemenzmittel sind Statine daher nicht. Gesunde Gefäße haben aber generell einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und auch auf die Gedächtnisfunktion.

Die Aufregung um Statine ist aus Ihrer Sicht unbegründet?

Laufs: Wir müssen uns vor einem Nocebo-Effekt hüten. Damit ist die Angst gemeint, dass dies oder jenes eintreten könnte und dann spürt man es auch. Wie gesagt, Statine sind die am besten untersuchten Medikamente. Ihr Nutzen ist deutlich größer als ihr Risiko.

Trifft das auch auf die Kosten-Nutzen-Bilanz zu?

Laufs: Mit zehn Euro im Quartal ist die Behandlung mittlerweile fast umsonst. Wenn Sie die Behandlungskosten eines Schlaganfalls dagegen rechnen, können Sie viele Patienten viele Jahre behandeln. Ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis gibt es wohl kaum.

Wenn Statine so effizient sind, wozu sind dann die neuen wesentlich teureren Antikörper gut, die ebenfalls den Cholesterinspiegel senken?

Laufs: Sie meinen die PCSK9-Hemmer. Das ist ein Spezialmedikament, das das LDL-Cholesterin sehr stark senkt. Es ist für Patienten mit hohem Risiko und hohen LDL-Cholesterinwerten, zum Beispiel die Statine nicht vertragen oder die an einer familiären Hypercholesterinämie leiden. Insgesamt ist das eine sehr kleine Gruppe. Derzeit werden in Deutschland knapp 7.000 Patienten mit dem Antikörper behandelt. Zum Vergleich: Allein die Gruppe der KHK-Patienten, die Statine nimmt, umfasst schon etwa vier Millionen Menschen.

Statine werden auf absehbare Zeit der Goldene Standard bleiben?

Laufs: Definitiv. Jeder verhinderte Herzinfarkt, jeder verhinderte Schlaganfall rechtfertigt die Prävention.

Prof. Dr. Ulrich Laufs leitet die universitäre Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig. 

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