Schmerzanblick: Empathie nimmt auf Dauer ab

Die neuronale Reaktion (blau) nimmt bei häufigerem Schmerzanblick ab
Empathie ist ein Thema, das zunehmend auch aus neurowissenschaftlicher Perspektive untersucht wird. Frühere Studien haben gezeigt, dass beim Beobachten von Schmerz teilweise ähnliche Hirnstrukturen aktiviert werden wie bei eigenen Schmerzerfahrungen. Wissenschaftler interpretieren diese Aktivierungen als mögliche neuronale Entsprechungen von Empathie. Allerdings gewöhnt sich das Gehirn offenbar mit der Zeit an den Anblick von Schmerz. Neue Forschungen konnten zeigen, dass die neuronale Reaktion auf Dauer abnimmt und sich Hirnareale habituieren – und das, obwohl die Schmerzeinschätzung gleich bleibt.
Gehirn gewöhnt sich an den Schmerzanblick
Forscher der Universität Göttingen analysierten die Hirnstrukturen von Probanden, denen Fotos gezeigt wurden, auf denen anderen Menschen akuter Schmerz zugefügt wird. Sie untersuchten dabei den zeitlichen Verlauf der neuronalen Reaktionen und überprüften, ob diese sich beim wiederholten Betrachten der Fotos veränderten. „Wir haben herausgefunden, dass die neuronale Reaktion beim wiederholten Betrachten der Fotos abnimmt, bestimmte Hirnareale also habituieren“, erläutert Dr. Mira Preis, Erstautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie der Universität Göttingen. „Dies ist umso erstaunlicher, weil die Probanden den Schmerz der beobachteten Personen im Verlauf der Untersuchung gleich einschätzten.“
Für Menschen, die regelmäßig mit dem Schmerz anderer Menschen konfrontiert sind, wie beispielsweise Ärzte, Pflegepersonal oder Angehörige von schwer kranken Patienten, könnte diese Gewöhnung eine sinnvolle Reaktion darstellen. „Diese Menschen können sich dann darauf konzentrieren, anderen Menschen zu helfen, ohne durch zu starke Emotionen gelähmt zu sein“, so Preis.
Empathie ist leicht beeinflussbar
Dass Empathie auch durch andere Faktoren beeinflussbar ist, hat erst kürzlich eine Studie von Forschern der McGill University in Montreal gezeigt. Demnach kann sozialer Stress, wie er beispielsweise durch die Anwesenheit von Fremden entsteht, das Mitgefühl stark reduzieren. Daher ist das empathische Mitempfinden von Schmerzen gegenüber Freunden und Verwandten stärker ausgeprägt als gegenüber Fremden. Die Forscher konnten auch zeigen, dass durch die Gabe eines Medikaments, das die Wirkung des Stresshormons Cortisol bremst, die Empathie auch gegenüber Fremden anstieg.
Foto: © Universität Göttingen