Qualitätsmonitor 2019: Überleben hängt von Fallzahlen ab

Jedes fünfte Frühchen wird in einer Klinik mit geringen Fallzahlen versorgt. Dort sinkt die Überlebenschance um 50 Prozent
Frühchen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.500 Gramm haben heute ziemlich gute Überlebenschancen. In Deutschland hängt es aber offenbar davon ab, in welcher Klinik sie in den entscheidenden ersten Tagen und Wochen versorgt werden: In Krankenhäusern, die weniger als 34 Frühchen im Jahr betreuen, liegt die Sterblichkeitsrate um 50 Prozent höher als in Häusern, die 91 oder mehr dieser Fälle behandeln. Diese beunruhigenden Zahlen gehen aus dem Qualitätsmonitor 2019 hervor, der am Donnerstag von der AOK und deren Wissenschaftlichem Institut Wido sowie Gesundheitsstadt Berlin vorgestellt wurde. Grundlage des Monitors sind Abrechnungsdaten der AOK.
Ordentliche Mindestmengenvorgaben würden Leben retten
Momentan gilt für die Versorgung von Frühgeborenen eine Mindestfallzahl von 14 Fällen pro Jahr. Viel zu niedrig, meint AOK-Vorstand Martin Litsch mit Blick auf die offensichtlichen Versorgungsdefizite. „Jedes Jahr ohne ordentliche Mindestmenge hat in diesem sensiblen und komplexen Versorgungsbereich fatale Folgen für die betroffenen Kinder und ihre Eltern“, sagte Litsch.
Noch ein anderer Punkt ist den Wissenschaftlern bei der Analyse der Abrechnungsdaten aufgefallen: Immer mehr Kinder kommen viel zu früh auf die Welt. So ist zwischen 2008 und 2017 die Anzahl der Frühgeburten unter 1.500 Gramm um 21 Prozent gestiegen. Inzwischen ist deren Anteil in Deutschland doppelt so hoch wie in Schweden. Das sei alarmierend, meinte Prof. Rainer Rossi, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Vivantes-Klinikums in Berlin-Neukölln. „Je komplikationsreicher eine Schwangerschaft, desto eher sollte die Versorgung im höchstqualifizierten Zentrum erfolgen", sagte Rossi und forderte eine Strukturdiskussion. Zudem gelte es endlich höhere Mindestmenge für Frühgeborene festzulegen.
Gelegenheitschirurgie bei Krebs in der Kritik
Auch die Gelegenheitschirurgie bei Krebs hat der Qualitätsmonitor erneut kritisiert. "Zu viele Kliniken mit geringer Erfahrung wagen sich demnach an komplexe Therapien und gefährden damit die Patientensicherheit. So hat nur ein Viertel der 781 behandelnden Kliniken im Jahr 2016 maximal acht Brustkrebs-Operationen durchgeführt. Ein weiteres Viertel führte im Schnitt gerade mal 26 Operationen durch, was etwa einen Eingriff alle zwei Wochen bedeutet. "Eine eingespielte Prozesskette für solche Operationen kann es nur in Kliniken mit hohen Fallzahlen geben“, sagte Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und Mitherausgeber des Qualitätsmonitors.
Aus gutem Grund werden in zertifizierten Zentren 100 Brustkrebs-Operationen pro Jahr gefordert. Die Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft ist allerdings freiwillig. Die Autoren des Qualitätsmonitors fordern daher die Politik auf zu handeln. "Die Länder müssen ihre Verantwortung für die qualitätsorientierte Krankenhausplanung wahrnehmen, indem sie unmittelbar die notwendigen Fallzahlen und Strukturmerkmale vorgeben“, so Klauber. Die Studienlage zeige, dass die Versorgung in einem Zentrum die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich erhöhe.
Bessere Qualität durch Zentralisierung
Mit dem Krankenhaus-Strukturgesetzes (KHSG) sollte sich die Qualität in deutschen Krankenhäusern eigentlich verbessern. Doch nach Ansicht der Wissenschaftler sind dem Gesetzt keine Taten gefolgt. Litsch: „Der feste Wille zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität ist in der aktuellen Krankenhaus-Gesetzgebung der Großen Koalition, aber auch in der Krankenhausplanung der Bundesländer nicht mehr erkennbar.“ Mindestmengen und Qualitätsindikatoren für die Krankenhausplanung würden nur schleppend umgesetzt. Dabei sei eine stärkere Zentralisierung dringend nötig.
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