
Dr. Jan Bek
Herr Dr. Bek, warum werden die meisten Rückenschmerzen chronisch?
Bek: Leider dauert es oft Wochen und Monate, bis Patienten eine adäquate Therapie erhalten. Manchmal sogar Jahre. Dadurch chronifiziert sich das Leiden.
Gehen die Patienten zu spät zum Arzt oder woran liegt das?
Bek: Das kommt auch vor, aber ich denke, an dieser Stelle müssen sich die Ärzte an die eigene Nase fassen. Viel zu häufig werden die Patienten erst einmal krankgeschrieben und, ich muss es leider so sagen, viel unnötiges Zeugs gemacht. Die Folgen können verheerend sein.
Was wird denn Unnötiges gemacht?
Bek: Zum Beispiel viel zu viel Diagnostik. Teure MRT-Aufnahmen sind in aller Regel überflüssig. Was die Patienten brauchen, ist eine individuelle Therapie mit einem klaren Therapieziel. Krankschreibungen und Überdiagnostik sind da wenig zielführend.
Warum stören Sie die Krankschreibungen so?
Bek: Wenn ich einen 30-Jährigen, der am Anfang seiner Karriere steht, nach Hause aufs Sofa schicke, erweise ich ihm einen Bärendienst. Er nimmt eine Schonhaltung ein, wodurch sich Muskeln abbauen, er zieht sich aus dem sozialen Leben zurück und wird nicht selten depressiv. Da entsteht ein Teufelskreislauf, der fatale Folgen für den Betroffenen haben kann, körperliche und psychosoziale.
Okay. Wie würden Sie den 30-Jährigen behandeln?
Bek: Ich muss zunächst ein Therapieziel definieren. In diesem Fall geht es darum, den Patienten so schnell wie möglich wieder schmerzfrei und mobil zu bekommen, so dass er weiter arbeiten kann. Die Therapie würde aus einer Schmerztherapie mit Medikamenten, notfalls auch mit Opiaten, bestehen. Zeitgleich braucht dieser Patient ganz rasch eine Physiotherapie und gegebenenfalls ein Muskelaufbautraining.
Würden Sie denn bei einem 70-Jährigen ein anderes Therapieziel definieren?
Bek: Man muss sich jeden Patienten genau anschauen. Bei einem 70-Jährigen Rentner kann man sicher etwas entspannter an die Sache herangehen und muss nicht gleich alle Register ziehen.
Aber eine multimodale Therapie würde der Rentner mit chronischem Rückenschmerz auch bekommen?
Bek: Selbstverständlich. Therapiekonzepte aus Schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten, Physiotherapie, Aufbautraining und psychosomatischer Therapie sind bei chronischen Rückenschmerzen so etwas wie der goldene Standard. Ich meine nur, man hat bei einem Menschen, der nicht mehr so gefordert ist, mehr Zeit. Man kann zum Beispiel mit leichteren Schmerzmitteln beginnen und erst einmal abwarten, wie sie wirken.
Welche Register können Sie ziehen, wenn all das nicht wirkt?
Bek: Wie schon gesagt: Notfalls behandeln wir Schmerzen mit starken Opiaten oder mit Antieptileptika.
Antieptileptika bei Rückenschmerzen?
Bek: Der Name hat historische Ursachen, weil die Therapie auf demselben Wirkmechanismus beruht. Ich halte den Begriff auch nicht für glücklich, weil er den Patienten suggeriert, sie litten an Epilepsie. Man kann auch Antikonvulsiva sagen, aber besser noch Membranstabilisatoren. Hierzu gehören Präparate, die übererregte Nervenmembranen wieder „beruhigen“ können. Gleichermaßen können wir heute mit Medikamenten aus der Gruppe der Antidepressiva chronische Rückenschmerzen oft sehr erfolgreich behandeln. Wir setzen diese Mittel aber nur bei neuropathischen Schmerzen ein.
Wann sind Rückenschmerzen neuropathisch?
Bek: Wenn das Nervensystem nicht nur mit reagiert, sondern schon direkt geschädigt ist, sprechen wir von neuropathischen Schmerzen. Der Volksmund sagt Nervenschmerzen dazu.
Und wodurch können Nerven geschädigt werden?
Bek: Zum Beispiel durch einen Bandscheibenvorfall oder durch eine Verengung des Wirbelkanals, der so genannten spinalen Stenose. Also immer dann, wenn Nervenwurzeln durch eine mechanische Kompression gereizt werden. Die Kompression kann aber auch von der Muskulatur ausgehen. Immerhin liegt bei etwa jedem dritten Patienten mit Rückenschmerz eine neuropathische Komponente vor. In der Regel kommt man hier mit den beschriebenen Maßnahmen sehr gut weiter. Eine Operation sollte nur das allerletzte Mittel sein.