„Es ist das Wichtigste, dass wir in der Medizin etwas bewirken”

Herr Professor Böttinger, auch auf die Gefahr hin, dass Sie die Frage schon öfter beantworten mussten: Warum haben Sie Ihre äußerst erfolgreiche Tätigkeit in den USA aufgegeben und sind nach Berlin gekommen, um Chef eines bislang noch recht unbekannten Instituts zu werden?
Böttinger: Ich bin wegen der Sache gekommen. Die Aufgabe hier ist faszinierend und spannend. Das Berliner Institut für Gesundheitsforschung oder wie ich es lieber nenne, das Berlin Institute of Health (BIH), bietet große Möglichkeiten, etwas zu schaffen, was in Deutschland sicher einmalig sein kann.
An dieser Einschätzung hat sich auch nach den ersten fünf Monaten Ihrer Amtszeit nichts geändert?
Böttinger: Ganz im Gegenteil. Ich habe die Zeit vor allem genutzt, um die Personen, Programme und Strukturen kennenzulernen. Und ich muss sagen: Hier arbeiten exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Hier wurde auch gute Aufbauarbeit geleistet. In der jetzigen zweiten Aufbauphase geht es darum, eine langfristige Strategie zu entwickeln und die Infrastrukturen dafür zu schaffen.
Verraten Sie, wohin die Reise gehen soll?
Böttinger: Nur so viel: Wir erarbeiten gerade ein Strategie-Papier, in dem unsere Vision und Schwerpunkte deutlich werden. Also, wo wollen wir hin und wie wollen wir das erreichen – sozusagen die Identität des BIH. Im Sommer werden wir die Strategie unserem Aufsichtsrat vorstellen. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich vorher nicht näher dazu äußern möchte.
Schade. Genau darüber hätten wir jetzt gerne mehr von Ihnen erfahren.
Böttinger: Generell kann ich Ihnen sagen, dass eine Einrichtung, die sich die translationale Medizin auf die Fahnen schreibt, bestrebt ist, eine präzisere Medizin zu entwickeln. Das heißt, Krankheiten bezüglich der Genese und Mechanismen besser zu verstehen und passendere Therapien zu entwickeln. Ob Sie es Präzisionsmedizin, Stratifizierung oder personalisierte Medizin nennen – unterm Strich wollen wir eine Verbesserung der Gesundheit erreichen.
Da sind Sie nicht die einzigen. Wie wollen Sie sich gegenüber der internationalen Konkurrenz behaupten?
Böttinger: Mit einer zukunftsweisenden Strategie wird die Zusammenarbeit von Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin in einem Institut einmalig. Zudem bietet Berlin ein großartiges Forschungsumfeld. Für uns sind das die entscheidenden Voraussetzungen, um uns mit den besten Partnern zu vernetzen, sei es aus den Universitäten, den außeruniversitären Einrichtungen und auch mit der Industrie. Gleichzeitig ist der Wissenschaftsstandort Berlin sehr attraktiv für talentierte Köpfe. Ich denke, das ist ein guter Nährboden, auf dem das BIH zusammen mit unseren Partnern international sichtbar werden kann. Aber es ist auch klar, dass es einige Herausforderungen gibt.
Was beschäftigt Sie am meisten?
Böttinger: MDC und Charité anzunähern, bedeutet unterschiedliche Kulturen zusammenzuführen. Grob gesagt ist der eine außeruniversitär und auf Grundlagenforschung fokussiert, der andere ist eine große medizinische Universität mit Klinik, Lehre und Forschung. Dass diese Annäherung gelingt, beschäftigt mich natürlich. Daneben ist auf dem Gebiet der Digitalisierung noch einiges zu tun.
Und zwar?
Böttinger: Deutschland hat in der medizinischen Informatik einen erheblichen Nachholbedarf. Hinzukommt, dass die gesetzlichen Vorgaben den Datenaustausch zwischen Klinik und Forschung schwierig machen. Hier muss ein Diskurs in Gesellschaft und Politik geführt werden, um bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen – sprich dem Datenschutz – einen Konsensus zur Balance zwischen Schutz des Individuums und Recht des Einzelnen auf Fortschritt zu finden. Es freut mich sehr, dass Berlin bei der Digitalisierung Prioritäten gesetzt hat. Schließlich wollen wir mit dem BIH ein Ökosystem der Innovationen schaffen und die Digitalisierung der Gesundheitsforschung und -versorgung spielt darin eine ganz große Rolle.
Sie haben vorhin die Industrie als potenziellen Partner genannt. Welche Rolle spielt die im „Ökosystem der Innovationen“?
Böttinger: Sehen Sie, ich war fast 30 Jahre lang in den USA tätig und dort sind die Berührungsängste mit der Industrie weniger ausgeprägt als hier. Keine öffentliche Einrichtung kann einen Transfer, wie wir ihn auf den Weg bringen wollen, aus eigenen Mitteln stemmen. Darum sind Partner aus der Wirtschaft für das BIH und seine Ziele essentiell.
Ihr Ziel ist eine bessere Gesundheitsversorgung. Wo sehen Sie das BIH in zehn Jahren?
Böttinger: Für mich ist es das Allerwichtigste, dass wir etwas bewirken können. Wenn wir bis dahin zum Beispiel zwei oder drei neue Therapien für bislang schwer behandelbare Erkrankungen in die klinische Anwendung bekämen, wäre das ein riesen Erfolg – für die betroffenen Menschen, aber natürlich auch für uns.
Sind Spekulationen erlaubt, auf welchen Gebieten das passieren könnte?
Böttinger: Eine Aussage, dass wir jetzt Krebsforschung, Herz-Kreislauf- oder Alzheimerforschung machen, sollten Sie nicht von mir erwarten. Das BIH will übergeordnete Zukunftsthemen bearbeiten, um besser und präziser diagnostizieren und behandeln zu können. Oder anders ausgedrückt: modernere Ansätze in der Forschung nutzen und für die Gesundheit der Menschen nutzbar machen. Hierfür werden wir sämtliche neue technologische Möglichkeiten ausschöpfen, zum Beispiel Digitalisierung oder Stammzelltechnologien.
In Ihrer Position wird Ihnen viel Diplomatie und politisches Geschick abverlangt, nicht zuletzt weil das BIH eine öffentliche Einrichtung ist. Wovon träumt der Arzt und Wissenschaftler Erwin Böttinger persönlich?
Böttinger: Mein persönlicher Traum wäre es, dazu beizutragen, dass in Deutschland der Gesundheitsbereich einen ähnlichen Stellenwert erreicht wie zum Beispiel die Autoindustrie. Dass wir sagen können: Wir sind nicht nur das Autoland, wir sind auch das Land der Gesundheit.
Prof. Dr. Erwin Böttinger ist Vorstandsvorsitzender des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung / Berlin Institute of Health (BIH) und Inhaber des Lehrstuhls „Personalisierte Medizin“ an der Charité. Zuletzt leitete er das Charles Bronfman Institute für Personalisierte Medizin an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York.