COVID-19: Blutverdünner erhöhen Überlebenschancen

Medikamente zur Blutverdünnung können zwar die COVID-19-Erkrankung nicht heilen, aber die Überlebenschancen bei schweren Verläufen offenbar erhöhen. – Foto: ©Spectral-Design - stock.adobe.com
Nach aktuellen Beobachtungen von Wissenschaftlern entwickeln COVID-19-Patienten nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus oft lebensbedrohliche Blutgerinnsel. Sie können zu Thrombosen und Herzinfarkten führen, in vielen Fällen verlaufen sie tödlich. Deshalb bekommen COVID-19-Patienten zur Vorbeugung sogenannte Antikoagulanzien verabreicht (umgangssprachlich: Blutverdünner, Gerinnungshemmer). Werden diese Medikamente aber eine Stufe höher dosiert, als es zur reinen Vorbeugung angezeigt ist, zeigen diese Patienten einen besseren Genesungsverlauf – auf der Intensivstation wie auch später auf Normalstation. Das ist das Ergebnis einer deutsch-amerikanischen Studie, unter Führung des New Yorker Ablegers des Hasso-Plattner-Instituts Potsdam.
Medizinisches Entscheidungswissen durch Behandlungsdaten-Analyse
Datenwissenschaftler und Mediziner des Hasso-Plattner-Instituts für Digitale Gesundheit werteten mithilfe modernster IT-Technologien und biomedizinischen Informatiktechniken Datensätze von 2.773 bestätigten COVID-19-positiven Patienten aus, die im März und April in den amerikanische Krankenhausverbund „Mount Sinai“ in New York City aufgenommen wurden. Dabei analysierten und verglichen sie insbesondere die Überlebensraten von Patienten mit und ohne Antikoagulanzien-Gabe.
Blutverdünnung: Doppelt so viele Beatmungspatienten überlebten
28 Prozent aller analysierten COVID-19-Patienten hatten dabei nicht nur die übliche Standarddosis Blutverdünner zur Verhinderung von Thrombosen bei Krankenhauspatienten erhalten (die viel liegen und sich wenig bewegen). Sie erhielten die nächsthöhere Dosisklasse – für Patienten, die bereits ein Gerinnsel hatten oder bei denen die Gefahr eines neuen besteht. Ergebnis der Datenanalyse: COVID-19-Patienten, die mit diesen hohen Dosen Blutverdünnern behandelt wurden, zeigten einen besseren Genesungsverlauf – sowohl auf der Intensivstation wie auch später auf der Normalstation. Besonders angeschlagen hat die Therapie mit Blutverdünnern offenbar bei den schweren Fällen, in denen die Patienten maschinell beatmet werden mussten. Von diesen „intubierten“ Patienten mit Blutverdünnungs-Therapie überlebten doppelt so viele die COVID-19-Erkrankung wie von denen ohne. Nur 29 Prozent von ihnen starben – bei den Patienten ohne Blutverdünner waren es 62 Prozent.
Wissenschaft „in Echtzeit“: US-Klinik setzt die Erkenntnisse bereits um
„Die Studie zeigt, wie wichtig es ist, dass wir Patientendaten in Echtzeit analysieren“, sagt Erwin Böttinger, Co-Direktor des Hasso-Plattner-Instituts für Digitale Gesundheit in New York und Leiter „HPI Digital Health Centers“ in Potsdam. „Nur so können wir jetzt schnell handeln, Leben retten und die Krankheitsverläufe verbessern.“ Die vielversprechenden Ergebnisse aus New York City könnten nun schnell weltweit in der stationären Behandlung von COVID-19-Patienten Anwendung finden. Das Mount-Sinai-Krankenhaus ist bereits dazu übergangen, COVID-19-Patienten ohne Blutungsrisiko mit Blutverdünnern zu behandeln.
Weltweit laufen in wissenschaftlichen Instituten und Unternehmend der Pharma-Industrie die Forschungsaktivitäten auf Hochtouren, um Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus und die dadurch verursachte COVID-19-Erkrankung zu entwickeln. In Deutschland wird nach Angaben des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) derzeit an 39 Standorten geforscht.
Blutverdünner wirken – warum, muss noch erforscht werden
Die Studie sei erst ein Anfang, sagte der leitende Studienautor Girsh Nadkarni, Ärztlicher Direktor am HPI für Digital Health in New York. Bei einer Folgeanalyse wollen die Wissenschaftler jetzt ins Detail gehen und die Wirksamkeit drei verschiedener Präparate zur Gerinnungshemmung prüfen und damit den Weg für künftige klinische Studien ebnen. Auch seien weitere Analysen und Studien erforderlich, um den genauen Effekt von Blutverdünnern bei COVID-19-Patienten zu verstehen.
HPI: Stiftung des Software-Magnaten Hasso Plattner
Die aktuelle Studie ist ein deutsch-amerikanisches Forschungsprojekt. Darin kooperieren Wissenschaftler des Hasso-Plattner-Instituts für Digitale Gesundheit mit dem neu geschaffenen Zentrum für Informatik am New Yorker Mount-Sinai-Hospitalverbund. An diesem ist auch die New Yorker Dependance des deutschen Hasso-Plattner-Instituts angesiedelt. Das HPI selbst hat seinen Hauptsitz in der brandenburgischen Landeshauptstadt und bietet gemeinsam mit der Universität Potsdam ein deutschlandweit einmaliges und besonders praxisnahes ingenieurwissenschaftliches Informatikstudium an. Hinter der Einrichtung steht die Hasso-Plattner-Stiftung des gleichnamigen IT-Milliardärs. Plattner machte sein Vermögen als Mitbegründer des deutschen Software-Herstellers SAP.
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