95 Prozent aller Antibiotika auf Verdacht verordnet

Rezept auf Verdacht: Beinah alle Antibiotika-Verordnungen erfolgen ohne vorhergehende Diagnostik – Foto: tashatuvango - Fotolia
Antibiotika werden immer noch viel zu oft auf Verdacht verordnet. Nach einer aktuellen Studie des BKK Landesverbandes Nordwest erfolgen rund 95 Prozent der ärztlichen Antibiotikaverordnungen ohne diagnostische Absicherung. Auch die sogenannten Reserveantibiotika, die eigentlich nur gegen multiresistente Keime eingesetzt werden sollen, werden demnach zu 75 Prozent ohne gezielte Diagnostik verordnet. Der BKK-Landesverbandvorstand Dirk Janssen meinte, es müsse jetzt Schluss sein mit der Zufallsmedizin. „Reserveantibiotika sind unsere letzte Verteidigungslinie gegen multiresistente Erreger. Wenn sie wie Bonbons im Karneval verteilt werden, verlieren wir diesen Kampf!“
Ein Antibiogramm hilft, die Bakterien zu identifizieren
Zum Schutz der Patienten vor einer zu schnellen Antibiotikaverordnung fordert der BKK Landesverband ein Antibiogramm. Das ist ein Abstrich, der klären kann, ob ein Antibiotikum überhaupt hilft und wenn ja, welches. Hierzu müsse die Politik klare Regelungen zur Anwendung und zur finanziellen Vergütung der Ärzte treffen. Außerdem sollte nach Ansicht der Betriebskrankenkasse ein Bundeskeimregister eingerichtet werden. „Labore sind zu verpflichten, die Testergebnisse pseudonymisiert an eine zentrale Meldestelle zu liefern, so dass Politik und Wissenschaft im Sinne eines Radars die Bewegung der Erreger und die Entwicklung von Resistenzen unter Kontrolle halten können“, heißt es in einem konkreten Gesetzesvorschlag der BKK.
Kritik an Gröhes Schnelltests
Den nun von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in die Diskussion eingebrachten Vorschlag, Schnelltests für Antibiotikaverordnungen zu entwickeln, hält Janssen für unzureichend. „Bis es diese Schnelltests gibt, werden unter Umständen noch Jahre vergehen“, sagte er. Auch das alleinige Vertrauen auf „finanzielle Anreize und Appelle“, wie sie im derzeitigen Entwurf des Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetz vorgesehen sind, führt nach Meinung des BKK-Landesverbandschefs ebenfalls zu keinen Veränderungen im Verordnungsverhalten der Ärzte.
Die BKK-Studie zeigt übrigens auch, dass es hierbei große regionale Abweichungen gibt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Antibiotika verordnet werden, ist in einzelnen Bundesländern doppelt so hoch wie in anderen. Janssen: „Medizinisch erklärbar ist dies nicht.“
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