Stress in der Kindheit oft mit lebenslangen gesundheitlichen Folgen

Chronisch dicke Luft zu Hause kann Kinder enorm belasten. Viele leiden später unter psychischen und körperlichen Erkrankungen – Foto: Photographee.eu - Fotolia
Stress in der Kindheit hat viele Gesichter: Vernachlässigung, Missbrauch oder andere belastende Erfahrungen wie die Trennung der Eltern. Bekannt ist, dass betroffene Kinder später oft an psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder auch an körperlichen Funktionsstörungen leiden. Dass Betroffene außerdem ein höheres Risiko für körperliche Krankheiten wie Schlaganfall oder Herzinfarkt haben, zeigt nun eine Übersichtsarbeit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) im Bundesgesundheitsblatt. Dieser Zusammenhang war bislang nicht so klar, hat sich aber nun durch die Auswertung etlicher Studien bestätigt. Mehr noch: Die Autoren konnten zeigen, dass derart belastete Kinder im Schnitt 15 bis 20 Jahre kürzer leben.
Fibromyalgie meist Folge frühkindlicher Belastung
„Die gesundheitlichen Folgen frühkindlicher Belastungen sind enorm“, beschreibt Studienautor Professor Dr. med. Ulrich T. Egle, von der schweizerischen der Klinik Barmelweid die jüngsten Erkenntnisse. Zum Beispiel verdopple sich das Risiko für Depressionen oder eine Angsterkrankung. Essstörungen träten sogar um bis zu fünf Mal häufiger auf als bei Menschen, die eine unbeschwerte Kindheit hatten. „Auch sogenannte somatoforme Erkrankungen – körperliche Beschwerden also, für die keine organische Ursache erkennbar ist – werden durch frühkindliche Belastungserfahrungen auf das Zwei- bis Vierfache gesteigert“, erklärt Egle. Dazu zählten etwa das chronische Fatigue Syndrom, Fibromyalgie oder das Reizdarmsyndrom.
Stresshormone spielen zentrale Rolle
Das Stresshormon Cortisol sowie entzündungsfördernde Botenstoffe des Immunsystems scheinen bei den gesundheitlichen Auswirkungen eine zentrale Rolle zu spielen. Bei Stress wird Cortisol ausgeschüttet und der Hormonhaushalt gerät durcheinander. Geschieht dies über längere Zeit komme es in bestimmten Hirnbereichen zu anhaltenden Funktionsstörungen, das Schmerzempfinden werde gesteigert und die Entzündungsneigung nehme zu. „Die Konzentrationsfähigkeit nimmt langfristig ab, die Affekt- und Selbstregulation ist eingeschränkt, und den Betroffenen stehen im Alltag oft nur unzureichende Strategien zur Stressbewältigung zur Verfügung“, betont Egle.
Wer schlecht mit Stress umgehen könne, greife eher zu Suchtmitteln wie Alkohol, Nikotin und harten Drogen. „Dadurch werden auch Krankheiten gefördert, die auf den ersten Blick keine psychischen Ursachen haben“, sagt der Facharzt für psychosomatische Medizin. In ihrer Übersichtsarbeit hatten die Forscher Zusammenhänge mit dem Auftreten von Typ-2-Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, chronisch obstruktive Lungen- sowie bestimmten Krebserkrankungen finden können.
„Brauchen mehr Prävention“
Schlussendlich plädieren die Autoren dafür, kindlichem Stress mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch die frühzeitige Behandlung bereits beginnender psychosomatischer Störungen bei Erwachsenen könne helfen, Betroffene früher zu erkennen und ihnen eine adäquate Behandlung oder „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu vermitteln. Derzeit seien Präventionsansätze jedoch unterentwickelt. Das müsse sich dringend ändern.
© Photographee.eu - Fotolia.com