Nahrungsergänzungsmittel oft mit Medikamenten vermischt

Nahrungsergänzungsmittel sind nicht so gesund, wie sie scheinen, warnt ein Mediziner – Foto: ©pat_hastings - stock.adobe.com
In den USA nimmt mehr als die Hälfte aller Erwachsenen Nahrungsergänzungsmittel ein. In Deutschland ist es nach Schätzungen jeder Dritte. Die US-Arzneimittel-Behörde FDA warnt vor unzulässigen Medikamenten-Zusätzen in den angeblich harmlosen Präparaten. Das berichtet Prof. Helmut Schatz in einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).
In einer aktuellen, in der Fachzeitschrift JAMA veröffentlichten Untersuchung von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) stellte das von der FDA betriebene Center for Drug Evaluation and Research in 776 Präparaten pharmazeutische Zusätze fest. Dies betraf am häufigsten NEM zur Steigerung der sexuellen Potenz, zur Gewichtsabnahme und zum Muskelaufbau. Jedes Fünfte der NEM enthielt mehr als einen nicht zugelassenen pharmazeutischen Wirkstoff.
Nahrungsergänzungsmittel mit Medikamenten vermischt
45,5 Prozent der Mittel zur Potenzsteigerung enthielten Sildenafil, den Wirkstoff von Viagra, auch Tadafanil (Handeslname: Cialis) und Vardenfil (Handelsname: Levitra) wies man nach. In 84,9 Prozent der NEM, die beim Abnehmen helfen sollen, war Sibutramin, der Wirkstoff des wegen ernster kardialer Nebenwirkungen vom Markt genommenen Reductil enthalten, oder das früher auch als Abführmittel verwendete, möglicherweise kanzerogene Phenolphthalein.
In 89,1 Prozent der NEM zum Muskelaufbau fanden sich nicht zugelassene Steroide und Aromatasehemmer. Diese Nahrungsergänzungsmittel waren also unzulässigerweise mit Medikamenten vermischt.
51 Prozent der Deutschen halten Nahrungsergänzungsmittel für gesund
Für solch zweifelhaften Produkte würden in Deutschland jährlich weit mehr als 1 Milliarde Euro ausgegeben, erläutert Schatz. Nach einer von den Verbraucherzentralen in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage unter 1.001 Personen im Jahr 2016 nahmen 20 Prozent der Befragten NEM wie etwa Magnesium-Präparate ein, 51 Prozent hielten sie für gesundheitsförderlich.
"In meiner Praxis stelle ich immer wieder fest, dass Patienten bei der Medikamenten-Anamnese NEM spontan nicht angeben, und nur auf dezidierte Nachfrage berichten, NEM zusätzlich, manchmal auch anstelle der von mir verschriebenen Medikamente einzunehmen", erzählt der Endokrinologe. Der Glaube und der Nimbus einer notwendigen Ergänzung angesichts der industriell gefertigten Nahrung mit Produkten aus "ausgelaugten Böden", wie die Werbung Glauben mache, sei enorm.
Schwere Nebenwirkungen durch gepanschte NEM
Immer wieder treten schwere Nebenwirkungen durch unerlaubterweise mit Pharmaka verfälschten NEM auf. So stellte man in einer US-Untersuchung fest, dass 23.000 Besuche von Notfallambulanzen und 2.000 stationäre Notfallaufnahmen pro Jahr im Zusammenhang mit der Einnahme von NEM standen. Dies betraf Schlaganfälle, akute Leberschädigungen, Nierenversagen, Lungenembolien und Tod.
Das Problem der Verfälschung von NEM sei auch hierzulande bekannt. Nach vom IOC geförderten Untersuchungen der Sporthochschule Köln enthielten 15 Prozent der in 13 Ländern erworbenen NEM Prohormone, in Deutschland waren 11 Prozent der untersuchten NEM mit verbotenen Anabolika versetzt.
Nahrungsergänzungsmittel haben keine Zulassungspflicht
Nahrungsergänzungsmittel sind gesetzlich Lebensmittel und keine Heilmittel, so Prof. Schatz. Für sie besteht daher keine Zulassungspflicht, sondern nur eine Anzeigepflicht beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Anders als bei Medikamenten wird kein Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweis gefordert. Da NEM also nicht der gleichen strengen Kontrolle wie Medikamente unterliegen, dürfte sich auf absehbare Zeit an dem gefährlichen Missstand nicht viel ändern, so der Mediziner.
Auf der Packung werde im Detail beschrieben, was die NEM enthalten - Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren und Extrakte aus zum Teil exotischen Pflanzen - der verbotenerweise zugesetzte pharmazeutische Wirkstoff werde selbstredend nicht erwähnt. Bereits vor mehr als zehn Jahren hatte Helmut Schatz nach eigenen Angaben bemängelt, dass aus Indien exportierten und hier frei verkäuflichen Ayurveda-Präparaten gegen Diabetes des öfteren Metformin oder Glibenclamid beigemischt war.
Multivitamin-Präparate zeigten keinerlei Nutzen
Dass man den Konsum der auch aus Sicht der JAMA-Autoren für fast alle Menschen in den westlichen Ländern unnötigen und zum Teil sogar schädlichen NEM einschränken oder gar verhindern kann, sei allerdings ebenso unrealistisch, wie bei den reinen Multivitaminpräparaten. Deren Verkauf ging nach negativen Ergebnissen großer Studien in den USA nicht ein bisschen zurück, obwohl diese keinerlei Nutzen gezeigt hatten.
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