
Kinderdemenzen gehören zu den seltenen Erkrankungen – Foto: ©Tobilander - stock.adobe.com
Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen (CLN) – so lautet der medizinische Fachausdrück für die Kinderdemenz. Mehr als zehn Formen dieser Krankheit sind bisher bekannt. Alle werden durch Genmutationen verursacht und sind bislang nicht behandelbar. Kinderdemenzen machen sich zuerst durch eine Verschlechterung der Sehleistung bemerkbar; es folgen epileptische Anfälle, Erblindung, Taubheit, Demenz und ein früher Tod. Ein Forschungsteam der Universität Würzburg sieht nun jedoch gute Chancen, mit etablierten Medikamenten gegen Kinderdemenz vorzugehen. Dabei handelt es sich um die aus der MS-Therapie bekannten Mittel Fingolimod und Teriflunomid. Ihre Beobachtungen publizierte die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift „Molecular Therapy“.
Entzündungen im Gehirn verstärken Kinderdemenz
Bereits vor einigen Jahren hat die Forschungsgruppe um Professor Rudolf Martini, Leiter der Sektion Experimentelle Entwicklungsneurobiologie an der Neurologischen Klinik des Würzburger Universitätsklinikums, entdeckt, dass Kinderdemenzen durch eine schleichende Entzündungsreaktion im Gehirn verstärkt werden. Daher könnten Medikamente, die auf diese Entzündungen wirken, helfen. Martinis Gruppe verfolgt seitdem einen Weg, der diese Erkenntnis möglicherweise klinisch umsetzbar macht.
Nun konnten die Forscher zeigen, dass die immunmodulatorischen Medikamente Fingolimod und Teriflunomid, die auch bei Multipler Sklerose eingesetzt werden, eine therapeutische Wirkung bei Kinderdemenz haben – zumindest im Mausmodell. Schon vorher hatte sich dieser Effekt in grundlagenwissenschaftlichen Experimenten angedeutet. Im Tierversuch konnten beide Medikamente die krankhaften Veränderungen im Gehirn sowie bestimmte klinische Symptome deutlich reduzieren. Außerdem bewirkten sie, dass die Netzhaut des Auges weniger und langsamer degenerierte.
Immunmodulatoren könnten helfen
Zunächst bewerteten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse noch zurückhaltend, da sie nicht wussten, ob ähnliche Entzündungsreaktionen wie im Tiermodell auch bei Patienten mit Kinderdemenz auftreten und ob sie damit tatsächlich eine neue Behandlungschance an der Hand haben. Deshalb untersuchten sie zusätzlich selten verfügbare Hirnautopsien, die ihnen von der „London Neurodegenerative Disease Brain Bank and Brains for Dementia Research“ zur Verfügung gestellt wurden. Das Ergebnis: Alle untersuchten Proben wiesen Entzündungsreaktionen auf, die denen der Modellmäuse erheblich ähnelten. Somit bestehen gute Chancen, dass auch Patienten auf eine Behandlung mit den Immunmodulatoren ansprechen.
Klinische Studien bei Seltenen Erkrankungen schwierig zu finanzieren
Mit bundesweit etwa 500 und weltweit rund 50.000 erkrankten Kindern gehört die Kinderdemenz zu den sogenannten Seltenen Erkrankungen. „Naturgemäß sind diese Erkrankungen für die meisten Pharmafirmen wegen der hohen Entwicklungskosten von Medikamenten für relativ wenige Patienten von geringem Interesse“, so Martini. Die Untersuchungen seines Teams zeigen nun aber einen Weg, wie man mit bereits im klinischen Einsatz befindlichen Medikamenten gegen Kinderdemenzen vorgehen kann.
Ein weiterer Vorteil: Mögliche Nebenwirkungen und Risiken sind bereits bekannt. Dennoch müssten klinische Studien die Wirksamkeit bei Kinderdemenz noch bestätigen. Solche Studien zu finanzieren, ist jedoch aufgrund der Seltenheit der Erkrankung problematisch. Zurzeit wären daher mit den Medikamenten höchstens individuelle Heilversuche möglich.
Foto: © Tobilander - Fotolia.com