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Mit Medikamenten Nervenzellen reparieren

Freitag, 20. Oktober 2017 – Autor: anvo
Verletzungen von Nerven im Zentralen Nervensystem (ZNS) führen oft zu irreparablen Schäden, weil sich Nervenzellen hier nur schwer regenieren können. Nun haben Forscher untersucht, mit welchen Wirkstoffen die Regenerationfähigkeit der Nervenzellen im ZNS angeregt werden kann.
Zentrales Nervensystem

Forscher suchen nach Möglichkeiten, die Remyelinisierung von Nervenzellen im ZNS anzuregen

Wissenschaftler arbeiten schon lange an der Entwicklung von Wirkstoffen, mit denen geschädigte Nervenzellen im Zentralen Nervensystem geschützt oder sogar repariert werden können. Nun sollen verschiedene Therapieoptionen an der Schwelle zur klinischen Anwendung stehen. Dies berichtet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Demnach haben Forscher aus Erlangen und Bochum die Wirksamkeit verschiedener Medikament anhand der Erkrankung Multiple Sklerose (MS) untersucht, von der in Deutschland rund 200.000 Menschen betroffen sind. MS tritt vor allem bei jungen Erwachsenen auf und kann zu irreversibler Schädigung im ZNS sowie zu schweren Behinderungen führen.

Nervenzellen schützen und reparieren

Bei der schubförmigen Verlaufsform der MS hat die Medizin mit verschiedenen Formen der Immuntherapie seit einigen Jahren Medikamente zur Hand, die Entzündungen der Nervenzellen lindern. „Jetzt stehen Therapien, die Nervenzellen schützen oder sogar reparieren, an der Schwelle zur klinischen Anwendung“, erklärte Professor Ralf Linker vom Universitätsklinikum für Neurologie in Erlangen auf dem diesjährigen Neurologiekongress in Leipzig. Diese vielversprechenden Ansätze entstehen aus der direkten Übersetzung von Studien aus der neurologischen Grundlagenforschung, die in den vergangenen Jahren zu einem besseren Verständnis der mikroskopischen Vorgänge bei der Zerstörung und Reparatur von Nervenzellen im ZNS beigetragen haben.

Als Paradebeispiel für die Entwicklung neuer Therapieprinzipien bei Patienten dient vor allem die Sehnerv-Entzündung, an der sich Reparaturvorgänge besonders gut studieren lassen, berichtet die DGN. Die Sehnerv-Entzündung ist ein typisches Symptom der MS und häufig das erste Anzeichen der Erkrankung. In ersten Studien an Patienten mit einer Sehnerv-Entzündung wurde der zielgerichtete Abwehrstoff Opicinumab getestet, ein Antikörper-Medikament, das angegriffenen Nervenhüllen die Chance gibt, sich wieder zu reparieren. Eine intakte Nervenhülle (Myelinscheide) wirkt wie eine Isolationsschicht um eine Stromleitung und verhindert Fehlfunktionen der Neuronen. Bei Patienten mit MS beziehungsweise einer Sehnerv-Entzündung ist die Schutzhülle geschädigt. Nur durch eine sogenannte Remyelinisierung kann sie repariert werden.

Remyelinisierung der Schutzhüllen

Die positive Wirkung von Opicinumab kann an der verbesserten Leitfähigkeit des Sehnervs gemessen werden. „In ersten Versuchen mit Patienten hatte Opicinumab einige positive Effekte. Das deutet darauf hin, dass Remyelinisierung stattfindet. Bevor wir das Medikament in der Regelversorgung verschreiben können, müssen jedoch große Zulassungsstudien den Nutzen der Behandlung weiter absichern“, erklärt Professor Linker, Stellvertretender Klinikdirektor und Leiter des Neuroimmunologischen Forschungslabors in Erlangen.

Hoffnung legen die MS-Forscher auch auf das bewährte Epilepsie-Medikament Phenytoin. Eine Studie aus England analysierte, inwieweit der Wirkstoff, der den Einstrom von Salz-Ionen in die Nervenzelle blockiert und so bei Epilepsien überschießende Erregung verhindert, auch bei der Sehnerv-Entzündung schützend wirkt. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Blockade von Ionen-Kanälen an geschädigten Nervenhüllen und damit blank liegenden Faserkabeln diese Schutzhülle tatsächlich vor dem Untergang durch schädliche Salzströme retten kann. Das hatten auch schon frühere Studien anhand von Zellkulturen und experimentellen Modellen nahegelegt.

Klinische Anwendung lässt noch auf sich warten

Ein weiterer neuer Ansatz, der gerade an Zentren wie der Universitätsklinik Erlangen unter Leitung von Professor Linker und an der Ruhr-Universität Bochum unter Leitung von Professor Aiden Haghikia sowie des DGN-Past-Präsidenten Professor Ralf Gold intensiv untersucht wird, ist das Nahrungsergänzungsmittel Propionsäure. „Die Propionsäure dämmt nicht nur Entzündungen bei MS ein, sondern zeigt in Nervenzellkulturen aus Stammzellen von Patienten auch schützende Effekte, so dass hier bald beginnende klinische Studien mit großer Spannung erwartet werden“, sagt Professor Linker.

Momentan können alle diese neuen Therapieformen lediglich im Rahmen von klinischen Studien verabreicht werden, und es wird noch ein paar Jahre dauern, bis sie breit zur Anwendung kommen. Doch die internationale Forschergemeinde setzt große Hoffnung in diese neuen Therapieformen: „Aktuell werden unterschiedliche Ansätze in verschiedenen Phasen klinischer Studien untersucht, die eine neue Dimension der Behandlung eröffnen könnten“, fasst Linker zusammen. „Dies könnte eines Tages auch bei der Therapie anderer neurologischer Erkrankungen wie der Parkinson-Erkrankung, der Multisystematrophie und der Alzheimer-Erkrankung zu Fortschritten führen.“

Foto: © adimas - Fotolia.com

Hauptkategorie: Medizin
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