Kluge Ideen für einen langsamen Ausstieg aus dem Lockdown

Smart Distancing erlaubt einen sanften Ausstieg aus dem Lockdown
Eins ist klar: So wie es jetzt ist, kann und darf es nicht weitergehen. Der soziale und wirtschaftliche Beinahe-Stillstand hat enorme Nebenwirkungen, deren volles Ausmaß noch gar nicht wirklich abschätzbar ist.
Zwar müssen die Infektionszahlen erst einmal spürbar abnehmen, so dass Behörden wieder einzelne Fälle und Kontaktpersonen nachverfolgen können, das Infektionsgeschehen also wieder unter Kontrolle ist. Darauf zielen die Mitte März eingeleiteten Maßnahmen und Experten erwarten, dass sie bald Wirkung zeigen werden. Die entscheidende Frage ist, wie es dann weitergehen soll. Darüber haben sich inzwischen viele kluge Köpfe Gedanken gemacht.
Den Aufschlag machte der Virologe und Epidemiologe Alexander Kekulé mit einem Beitrag auf Zeit online am 26. März. Kekulé, der bis 2013 die Bundesregierung beraten hat, schlägt drei Dinge vor.
- 1. Smart Distancing
- 2. Individuelle Vigilanz
- 3. Deeskalierende Grenzkontrollen
Smart Distancin: Halte Abstand und trag Maske
Anders als die jetzt verhängte Radikalkur „Social Distancing“ würde die smarte Variante viele alltägliche Dinge wieder erlauben vom Friseurbesuch bis zum Shoppen und Essen im Restaurant. Und zwar durch penibles Abstand halten (2 m zu anderen Personen) und wenn das nicht möglich ist, durch das Tragen von Mund-Nasen-Schutz. Österreich will dieses Konzept gerade umsetzen und schreibt zum Beispiel für das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel, wo Abstandsregeln nicht eingehalten werden könne, das Tragen von Atemschutzmasken vor.
Risikogruppen wie ältere Menschen und chronisch Kranke empfiehlt Kekulé das Tragen von FFP2-Masken, wenn sie Kontakt zu anderen haben. Für allein lebende Risikopersonen empfiehlt er außerdem, Lieferdienste zu organisieren.
Individuelle Vigilanz: Wer hustet, bleibt zuhause
Individuelle Vigilanz ist ein Appell an die Eigenverantwortung. Heißt: wer hustet oder Fieber hat, bleibt zu Hause, bis ein Testergebnis vorliegt. Das Dilemma ist, dass augenblicklich nicht alle Menschen getestet werden können. „Deutschland muss deshalb eine nationale Anstrengung unternehmen, um Schnelltests zu entwickeln und verfügbar zu machen“, schreibt Kekulé. Solche Schnelltests Schwangerschaftstest funktionieren ähnlich schnell wie eine Schwangerschaftstests und seien technisch möglich. Auch Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Entwicklung und Verbreitung in die Liste der wichtigsten globalen Forschungsaktivitäten aufgenommen.
Deeskalierende Grenzkontrollen
Kekulé hält Einreisekontrollen für nötig, andernfalls würden ja unkontrolliert wieder neue Infektionen eingeschleppt, schreibt er. Gelockert werden könnten diese, u.a. durch Schnelltests an der Grenze, Angabe der Kontaktdaten sowie einer Unterscheidung nach Herkunftsgebiet. Weitere Erleichterungen für Regionen seien möglich, „in denen die Covid-19-Fälle gründlich erfasst werden und genauso selten wie in Deutschland sind“, schreibt Kekulé mit Blick auf den Tag X, an dem die Epidemie wieder unter Kontrolle ist.
Mit diesen drei Vorschlägen könnten die Wirtschaft und das soziale Leben zügig aus dem künstlichen Koma geholt und Kollateralschäden begrenzt werden, meint der Epidemiologe. Natürlich werde dieser Plan gegen die Pandemie noch an vielen Stellen zu ergänzen und zu verbessern sein. "Doch eine vorläufige Roadmap ist allemal besser, als ohne Navigationssystem auf Sicht zu fahren."
Positionspapier von 14 Wissenschaftlern
Ein weiteres Positionspapier haben 14 Wirtschaftswissenschaftler und Ärzte um den Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, und den Präsidenten der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Martin Lohse, vorgelegt.
Flexible, risikoadaptierte Strategie
Die Empfehlungen sehen eine „flexible, risikoadaptierte Strategie“ für die allmähliche Lockerung des Lockdowns vor. Aus dem 37 Seiten starken Papier fallen vor allem diese Vorschläge ins Auge:
Danach sollten zunächst jene Sektoren wieder hochgefahren werden, wo die Ansteckungsgefahr (wegen genügend Sicherheitsabstand) niedrig ist oder wo weniger vulnerablen Personen betroffen sind etwa Kindertagesstätten und Schulen.
Dagegen sollten Sektoren mit hoher Ansteckungsgefahr vorerst geschlossen bleiben, insbesondere Veranstaltungen mit vielen Zuschauern, Diskotheken, Clubs.
Beschränkungen, die hohe soziale oder psychische Belastungen implizieren, sollten vorrangig gelockert werden.
Regionale Unterschiede berücksichtigen
Neben sektoralen schlagen die Autoren auch stufenweise regionale Lockerungen vor. Demnach könnten Regionen mit niedriger Infizierung und geringerer Infizierungsgefahr (Land versus Stadt) und weniger Verbreitungspotential (abgelegen versus Verkehrsknotenpunkt) eher geöffnet werden genau wie Regionen mit einer guten Krankenversorgung.
Außerdem könnten solche Regionen besonders geöffnet sein, wo bereits ein hoher Grad an Immunität besteht. Erworbene Immunität kann auch bei einzelnen Personen ein wichtiges Kriterium für ihre Einsatzmöglichkeiten sein – zum Beispiel bei einer Krankenschwester oder Lehrerin.
Nationale Task Force gefordert
Weiter empfehlen die Wissenschaftler die Einrichtung einer bei der Bundesregierung angesiedelten Nationalen Taskforce sowie Regionaler Taskforces auf Ebene der Bundesländer. Aufgabe dieser Taskforces wäre, alle relevanten Informationen aus den unterschiedlichen medizinischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen zu sammeln, die zur Risikobewertung im Hinblick auf die risikoadaptierte Steuerung einzelner Schritte benötigt werden. Unter Federführung der Nationalen Taskforce sollten die Einschätzungen und Empfehlungen gebündelt werden.
Das vollständige Positionspapier ist unter www.ifo.de abrufbar.
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