HNO-Ärzte: Mandeloperationen sind Ermessensentscheidungen
Mit einer dreiseitigen Stellungnahme hat die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO KHC) auf die aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung reagiert, wonach in manchen Landkreisen Kindern achtmal so häufig die Mandeln entfernt werden wie anderswo. Die Fachgesellschaft versucht nun eine plausible Erklärung dafür zu finden und schreibt, es gebe keine bindende Indikationsstellung für Mandeloperationen. Ausschlaggebend für die Notwendigkeit einer kompletten Entfernung der Gaumenmandeln sei weniger der augenblickliche Untersuchungszustand als vielmehr die Krankengeschichte des Patienten. „Für den Arzt, der die Notwendigkeit der Mandeloperation beurteilen soll, ist deswegen eine zuverlässige und aussagekräftige Krankengeschichte über Häufigkeit, Ausprägung und Behandlungsnotwendigkeit beklagter Rachenbeschwerden entscheidend“, heißt es in der Stellungnahme. Insofern sei es nachvollziehbar, dass im Rahmen ärztlicher Ermessensentscheidungen „Variationen“ entstünden.
Der große Ermessensspielraum wird unter anderem auch damit erklärt, dass es augenblicklich keine Leitlinie für Mandeloperation gibt, an der sich die Ärzte orientieren könnten. Eine S2-Leitlinie wird den HNO-Ärzten zufolge gerade überarbeitet und erscheint frühestens im nächsten Jahr.
Fachgesellschaft streitet ökonomische Anreize ab
Dem im Raum stehenden Argument, dass vielleicht ökonomische Interessen eine Rolle spielen könnten, versucht die Fachgesellschaft den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Bei eng kalkulierten Budgets für Mandeloperationen entfallen ökonomische Anreize für die Durchführung dieser Eingriffe weitgehend; auch mit Blick auf den Aufwand und die Notwendigkeit, dass ärztlicherseits bei Komplikationen 24 Stunden an 7 Tagen schnelle Hilfe organisiert sein muss“, so die DGHNO KHC. Ob der Gemeinsame Bundesauschuss (G-BA) das durchgehen lassen wird, muss sich zeigen. Dieser nimmt nach DGHNO KHC Angaben auch die Mandelchirurgie ins Visier und hat das AQUA-Institut in Göttingen mit Recherchen hierzu beauftragt.
Bertelsmann Stiftung fordert Aufklärung
Unterdessen hat die Bertelsmann Stiftung die Ärztekammern, die Fachgesellschaften sowie die zuständigen Aufsichtsbehörden aufgefordert, dringend die auffälligen Regionen einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. „Die großen regionalen Unterschiede bestehen seit längerem. Es ist schwer zu verstehen, warum niemand nach den Ursachen forscht, denn hinter den Zahlen können sich in einigen Regionen echte Fehlentwicklungen zulasten der Patienten verbergen", sagte die Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung Dr. Brigitte Mohn.
In der Studie, die am Dienstag am Berlin vorgestellt wird, wichen bei den Mandelentfernungen 137 der 402 deutschen Städte und Gemeinden um mehr als 30 Prozent vom Bundesdurchschnitt ab. Die Bertelsmann Stiftung erklärte, solche Abweichungen seien rein medizinisch nicht erklärbar.
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