"Heilung von HIV bleibt das Ziel der Zukunft"

Herr Professor Fätkenheuer, aus der HIV-Forschung kommen immer wieder vielversprechende Nachrichten. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass eine HIV-Infektion einmal heilbar wird?
Fätkenheuer: Wenn Sie unter Heilung verstehen, dass das Virus definitiv aus dem Körper verschwindet und nie mehr wiederkommt, bin ich skeptisch, dass das jemals möglich sein wird. Es gibt aber noch eine Stufe darunter, die wir funktionelle Heilung nennen. Das ist ein Zustand, in dem das Immunsystem in der Lage ist, das Virus in Schach zu halten, ähnlich wie bei einer Herpes-Infektion. Eine solche funktionelle Heilung ist auch bei HIV gut vorstellbar.
Das klingt etwas vorsichtig.
Fätkenheuer: Gerade in 2014 haben wir in der HIV-Forschung wieder Rückschläge erlebt, nachdem die Stimmung im Vorjahr äußerst optimistisch war. Insofern ist etwas Zurückhaltung durchaus angebracht.
Was macht es so schwierig, das HI-Virus dauerhaft einzufangen?
Fätkenheuer: Das Problem bei der Heilung ist, dass wir das Virus nur erwischen, wenn es sich vermehrt. Dafür muss es in Immunzellen sitzen, die aktiv sind. Schließlich ist das Virus bei seiner Vermehrung auf den Zellstoffwechsel angewiesen. Es gibt aber Zellen, die sehr lange in Ruhestellung sind und nur zu seltenen Anlässen aktiviert werden. Wenn sich das Virus in solchen Zellen versteckt, können wir es augenblicklich nicht mit Medikamenten treffen. Das hat man vielfach gesehen.
Das Versteck ist das Problem?
Fätkenheuer: Wir wissen inzwischen, dass sich das Virus schon wenige Stunden nach der Infektion seine Nischen sucht. Selbst wenn man wenige Tage später mit der Therapie beginnen würde, könnte man diese Verstecke wahrscheinlich nicht verhindern.
Was sagt die aktuelle HIV-Forschung dazu?
Fätkenheuer: Es wird sehr intensiv daran geforscht, das Virus in den ruhenden Zellen zu erwischen. Ein Ansatz ist, dass man versucht, die ruhenden Zellen mit Medikamenten zu aktivieren. Die Schwierigkeit dabei ist, dass man alle Zellen in einen Aktivierungszustand versetzen müsste, um das Virus zu treffen. Ob das zu 100 Prozent klappt und welche Risiken damit verbunden sind, lässt sich momentan noch nicht sagen. Ein anderer Ansatz ist, das Virus aus der Zelle herauszuschneiden. Dabei werden Moleküle eingesetzt, die in der Lage sind, das Virus aufzuspüren und es dann aus der Zelle zu resezieren. Die gesunden Teile der Zelle bleiben bei diesem Eingriff verschont. Insbesondere in Hamburg wird intensiv daran gearbeitet und die Laborergebnisse sehen ganz vielversprechend aus.
Wie steht es um die Gentherapie bei HIV? Da gibt es doch gerade in jüngster Zeit einige Erfolgsmeldungen.
Fätkenheuer: Die Gentherapie hat sicher ein großes Potenzial, ist aber auch noch nicht spruchreif. Bei dieser Methode entnimmt man den Patienten bestimmte Immunzellen, so genannte CD4-Zellen und verändert diese genetisch so, dass sie nicht mehr mit HIV infizierbar sind. Anschließend erhält der Patient die modifizierten Zellen per Injektion zurück. Ziel ist, dass sich die immunisierten Zellen im Körper ausbreiten und quasi die Oberhand gewinnen. Das wurde in den USA jetzt schon mehrfach gemacht und bislang sieht der Ansatz recht erfolgsversprechend aus.
Um die HIV-Impfung ist es eher still geworden.Schon in den 80er Jahren wurde ein Impfstoff angekündigt. Den gibt es aber bis heute nicht.
Fätkenheuer: Ich fürchte eine präventive Impfung wird es auch so schnell nicht geben. Wir sind noch nicht so weit, wirklich zu verstehen, was alles genau erfüllt sein muss, damit eine Impfung erfolgreich ist.
Was ist bei HIV so anders als beispielsweise bei Masern?
Fätkenheuer: Der Erfolg der Masern-Impfung basiert darauf, dass Antikörper die Masern-Viren abfangen und bekämpfen. Damit sind die Eindringling für allezeit vertrieben. Das HI-Virus setzt sich dagegen in den Immunzellen fest. Deswegen reicht es bei HIV nicht aus, Antikörper zu erzeugen, man muss auch das zelluläre Immunsystem mit einbeziehen. Lange Zeit dachte man, Antikörper würden bei HIV gar keine Rolle spielen. Inzwischen weiß man, dass sie vielleicht doch eine wirksame Funktion haben können. Gerade in Deutschland wird auf diesem Gebiet viel geforscht. Ein Eröffnungsdatum für eine vorbeugende Impfung kann ich Ihnen trotzdem nicht nennen.
Es scheint, auf allen Gebieten wird mit Hochdruck geforscht. Was kommt Ihrer Ansicht nach eher, die funktionelle Heilung oder die Impfung?
Fätkenheuer: Es gibt auch einen kombinierten Ansatz, die so genannte therapeutische Impfung. Da bekommen Infizierte einen Impfstoff verabreicht, der das Ziel hat, die Immunantwort des Körpers zu verbessern. Man gibt dem Immunsystem sozusagen Prothesen an die Hand. Therapeutische Vakzine könnten bei der funktionellen Heilung auf jeden Fall eine Rolle spielen.
Machen wir abschließend noch einen Schlenker zur Gegenwart. Warum eigentlich all die Mühe, wo es doch inzwischen hoch wirksame Medikamente gibt?
Fätkenheuer: Wir können heute eine HIV-Infektion zwar mit einer Kombination aus verschiedenen antiretroviralen Medikamente gut behandeln. Die Medikamente machen aber zum Teil schwere Nebenwirkungen, sind teuer und müssen lebenslang eingenommen werden. Außerdem kann es zu Resistenzen kommen. Deshalb bleibt die funktionelle Heilung das Ziel der Zukunft. Und das erreichen wir nur durch weitere Forschungsanstrengungen, wobei es den einen Königsweg sicher nicht geben wird. Aus meiner Sicht werden es multimodale Konzepte sein, die die Zukunft der HIV-Therapie bestimmen.
Prof. Dr. med. Gerd Fätkenheuer ist Leiter der Infektiologie der Klinik für Innere Medizin an der Universitätsklinik Köln