„Haben an der Charité ein Programm mit monoklonalen Antikörpern für ambulante Risikopatienten gestartet”

Infektionsmediziner Prof. Norbert Suttorp
Herr Professor Suttorp, die dritte Welle ist in vollem Gange. Spitzt sich die Lage an der Charité schon zu?
Suttorp: Noch sind wir nicht so ausgelastet wie am Peak der zweiten Welle Anfang Januar. Es sind auch noch viele Intensivpatienten aus dieser Welle bei uns. Aber die Patientenzahlen steigen täglich auf Normal- und Intensivstationen. Vor allem sind die Patienten deutlich jünger und liegen länger. Ein ganz wichtiger Prognosefaktor für Überleben auf der Intensivstation ist schlicht das Alter; Jüngere sind einfach belastbarer und sie sterben seltener. Allein das hat schon spürbare Auswirkungen auf die Bettenkapazität. Es ist absehbar, dass diese dritte Welle so schlimm wird wie die zweite.
Wie will die Charité den Kollaps verhindern?
Suttorp: Das kennen wir ja alles schon. Es werden wieder zusätzliche Kapazitäten insbesondere für Covid-Intensiv-Patienten geschaffen, indem Personal aus anderen Bereichen wie OPs oder Normalstationen abgezogen wird. Die Charité hat auch seit der ersten Welle zusätzliche Intensivbetten in bedeutsamer Anzahl in der Charité Campus Klinik aufgestellt. Das ist ein enormer Kraftakt, dafür immer das zusätzliche Personal zusammenzubekommen. Das ist alles sehr ärgerlich, weil das, was da jetzt kommt, klar absehbar war. Die Politik wird von Welle zu Welle nicht besser, sondern schlechter.
In Israel konnte die dritte Welle durch Massen-Impfungen durchbrochen werden. Könnte das auch in Deutschland noch gelingen?
Suttorp: Nein, das schaffen wir nicht mehr. Es sind einfach noch zu Wenige geimpft. Derzeit sind knapp 23 Prozent der Deutschen mindestens einmal geimpft, mit so einer Impfquote brechen Sie keine Welle. Ich bin aber relativ optimistisch, dass wir bis Spätsommer eine Art Herdenimmunität von sagen wir 60 bis 70 Prozent erreichen können. Das wird uns zumindest helfen, eine vierte Welle im Herbst zu verhindern - vorausgesetzt, es kommen keine größeren Lieferausfälle dazwischen.
Wir haben potente Impfstoffe, aber offenbar keine Medikamente, die die gefürchteten schweren Covid-Verläufe verhindern können. Warum ist das so?
Suttorp: Wir hatten bei den Impfstoffen einen Vorsprung, weil vieles von MERS- und dem Coronavirus-1 bekannt war. Gegen das MERS-Virus wurde schon ein Impfstoff entwickelt. Man kannte also Coronaviren und das Spikeprotein schon sehr genau. Dieses Wissen hat mehrere Jahre Entwicklungsarbeit eingespart. Bei den Medikamenten ist es so, dass wir durchaus jetzt Kandidaten haben, die einen schweren Verlauf verhindern können. Studien zeigen, dass monoklonale Antikörper im Vergleich zu Placebo rund sieben von zehn Krankenhauseinweisungen verhindern, wenn sie denn sehr früh nach der Infektion gegeben werden. Das Gesundheitsministerium hat im Januar 2021 200.000 Dosen gekauft. Das Medikament ist in Europa nicht zugelassen und entsprechend hoch ist der Dokumentations- und Meldeaufwand. Das geht nur im Krankenhaus. Die Patienten, die wir erreichen wollen, sind ambulant und asymptomatisch und wir haben in der letzten Woche hier an der Charité eine monoklonale Infusionsambulanz in Betrieb genommen, um Beide, sprich Patient und Antikörper zusammenzubringen.
Die monoklonalen Antikörper sind noch nicht zugelassen bzw. befinden sich noch im Rolling-Review-Verfahren. Wer kann an dem Programm teilnehmen?
Suttorp: Wir können frisch infizierte asymptomatische Patienten mit bestimmten Risikofaktoren behandeln, zum Beispiel mit Adipositas, einer Immunsuppression (etwa nach Organtransplantation, aktuelle Chemotherapie usw.) oder mit schweren chronischen Lungen- oder Nierenerkrankungen. Die niedergelassenen Ärzte sind jetzt aufgefordert, diese Patienten zu identifizieren und – nach Rücksprache mit uns - zur Infusion schicken, und zwar spätestens fünf Tage nach Diagnose. Außerdem darf der PCR-Test nicht älter als drei Tage sein. Es handelt sich nicht um eine Studie, es ist vielmehr ein Therapieangebot. Ein neuer Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium macht eine Zusammenarbeit in dieser Form möglich und mit unserem Modell der Covid-Antikörperambulanz - meines Wissens die erste in Deutschland – hoffen wir, Nachahmer zu finden, so dass eine Breitenwirkung erreicht wird. Wir hoffen, dass wir dann die Höhe der dritten Welle wenigstens etwas glätten können.
Wie funktionieren die monoklonalen Antikörper?
Suttorp: Die Antikörper verhindern, dass das Coronavirus an die ACE2-Rezeptoren bindet. Somit kann es nicht mehr in die Zelle und sich nicht mehr vermehren. Das ist ein sehr viel versprechender Ansatz, besonders wenn man zwei Antikörper kombiniert, wie es bei dem Präparat von Regeneron der Fall ist. Aber die Antikörpertherapie funktioniert eben nur, wenn man sehr früh eingreift. Initiale Gabe der Antikörper bei Intensivpatienten hat sich nicht bewährt, vermutlich wegen des Zeitfaktors.
Gerade macht der Asthma-Spray Budesonid Schlagzeilen. Was halten Sie von dem Mittel?
Suttorp: Wenn Sie frisch-infizierten asymptomatischen Patienten (auch ohne Risikofaktor) Budesonid inhalieren lassen, sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Krankenhauseinweisung. Das hat zunächst eine kleine, aber sehr gut gemachte Studie aus Oxford gezeigt. Wir müssen die endgültigen Ergebnisse einer großen Phase-3-Studie abwarten. Fachgesellschaften sind hinsichtlich einer generellen Empfehlung zur Zeit noch zurückhaltend. Interessanterweise ist den Beobachtungen vorausgegangen, dass Asthmatiker seltener schwer an Covid-19 erkranken. Warum? Weil sie ein Steroid inhalieren. So ist man überhaupt auf dieses Mittel gekommen. Wie gesagt, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Der große Vorteil wäre, dass dieses Medikament schon zugelassen und breit verfügbar ist.
Dexamethason, ebenfalls ein schon lange zugelassenes Kortisonpräparat, galt im Sommer als „Game-Changer“. Wo ist der Unterschied?
Suttorp: Dexamethason setzen wir bei Schwerkranken ein. Es senkt die Sterblichkeit von beatmeten Patienten um 30 Prozent. Von daher war das Medikament tatsächlich ein Game-Changer in der späteren Krankheitsphase. In der zweiten Welle hat es uns schon sehr geholfen, andernfalls wären sehr viel mehr Menschen an Covid gestorben.
Die Pandemie beenden können letztlich aber nur die Impfstoffe.
Das ist richtig. Nur: Noch sind wir mittendrin und auch mit dem Ende der Pandemie wird SARS-COV-2 ja nicht aus der Welt sein. Wir brauchen darum dringend wirksame Therapien, die die Krankheit weniger gefährlich und tödlich machen. Und da gibt es durchaus, Grund zum Optimismus. Neben den bereits eben erwähnten Therapien laufen derzeit unglaublich viele Studien mit den unterschiedlichsten Ansätzen für die verschiedenen Krankheitsphasen, auch bei uns an der Charité. Da sind sehr pfiffige Ideen dabei, die von erprobten Rheumamitteln bis hin zur Reparatur der Lunge reichen. Wobei klar sein muss, dass es nicht das eine Goldene Mittel geben wird, sondern immer nur eine Kombination verschiedener Maßnahmen zum Erfolg führen.
Prof. Dr. Norbert Suttorp ist Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie an der Charité, Campus Mitte und Campus Virchow-Klinikum.