Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

ASS als Primärprävention ohne Erfolg?

Donnerstag, 27. September 2018 – Autor: anvo
Acetylsalicylsäure (ASS) soll bei Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten die Gefäße wieder öffnen und vor neuen Gerinnseln schützen. Einige Mediziner empfehlen, ASS auch gesunden Menschen mit erhöhtem Herzinfarktrisiko zu verabreichen. Drei neue Studien sprechen nun gegen ASS als Primärprävention.
ASS, Primärprävention, Herzinfarkt

Gesunden Menschen scheint ASS als Prävention gegen mögliche Herzinfarkte oder Schlaganfälle nicht zu nutzen

Viele Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten nehmen täglich niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (Low-dose-ASS) zu sich, um zu verhindern, dass die Blutplättchen wieder verklumpen und neue Gerinnsel entstehen. Diese sogenannte Sekundärprävention gilt als bewährt. Einige Mediziner, besonders aus den USA, gehen sogar noch weiter und empfehlen, ASS nicht nur Herzinfarktpatienten, sondern auch gesunden Erwachsenen mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall zu verschreiben. Das ist jedoch durchaus umstritten, nicht zuletzt wegen des erhöhten Risikos für innere Blutungen durch Acetylsalicylsäure. Nun sind drei neue, groß angelegte Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass Low-dose-ASS als Primärprävention weitgehend ohne Nutzen bleibt und in keinem Verhältnis zu den Risiken steht.

Studie: Vorteile und Risiken von ASS heben sich auf

Für die ASCEND-Studie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, nahmen über 15.000 britische Patienten mit Diabetes täglich 100 mg ASS zu sich. Die Teilnehmer waren im Durchschnitt 63 Jahre alt, waren zum großen Teil übergewichtig und hatten erhöhten Blutdruck. Keiner der Probanden hatte allerdings bisher einen Herzinfarkt oder ein anderes kardiovaskuläres Ereignis gehabt.

Es zeigte sich, dass es während des Studienzeitraums von 7,4 Jahren in der ASS-Gruppe bei 658 Teilnehmern (8,5 Prozent) zu einem kardiovaskulären Ereignis gegenüber 743 Teilnehmern (9,6 Prozent) in der Kontrollgruppe kam. Damit hatte die Einnahme von „Low-dose“-ASS das Risiko eines vaskulären Ereignisses um immerhin 12 Prozent gesenkt. Doch gleichzeitig kam es bei 4,1 Prozent der Patienten, die ASS einnahmen, zu schweren Blutungen gegenüber 3,2 Prozent in der Placebogruppe. Damit hoben sich nach Angaben der Studienautoren die Vor- und Nachteile der ASS-Einnahme auf.

Auch eine – eigentlich vermutete – Prävention von Krebserkrankungen ließ sich nicht nachweisen. In der ASS-Gruppe erkrankten 897 Probanden an Krebs (11,6 Prozent), in der Placebogruppe 887 (11,5 Prozent). Auch vor Darmkrebs schützte die ASS-Gabe in der Studie nicht. In früheren Studien hatte ASS das Darmkrebsrisiko um bis zu einem Drittel gesenkt. Allerdings trat hier die krebspräventive Wirkung erst nach längerer Einnahme auf.

Geringer Nutzen, hohes Blutungsrisiko

Auch in der ARRIVE-Studie, die im Fachmagazin The Lancet veröffentlicht wurde, konnten die Forscher keinen Nutzen für eine Primärprävention mit „Low-dose“-ASS erkennen. An der internationalen Studie hatten 12.546 Patienten teilgenommen. Männliche Teilnehmer waren mindestens 55 Jahre alt und wiesen zwei bis vier Risikofaktoren (erhöhte Blutfettwerte, Rauchen, vermindertes HDL, Hypertonie, Einnahme von Blutdruckmedikamenten oder ein erhöhtes familiäres Risiko) auf. Weibliche Teilnehmerinnen waren über 60 Jahre alt und wiesen mindestens drei Risikofaktoren auf. Alle Probanden nahmen täglich 100 mg ASS oder ein Placebopräparat ein.

Das Ergebnis: Nur beim Endpunkt Herzinfarkt und auch nur in der Per-Protokoll-Analyse war eine protektive Wirkung nachweisbar, und zwar um 47 Prozent. In allen anderen Analysen ergaben sich keine Vorteile für ASS. Und auch hier stand dem möglichen Nutzen eine erhöhte Anzahl von Blutungskomplikationen gegenüber. Ihre Zahl war allerdings relativ gering, da Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko, darunter auch Diabetiker, von vornherein von der Studie ausgeschlossen worden waren.

Auch bei älteren Menschen keine Vorteile für ASS

Den Nutzen von Low-dose-ASS als Primärprävention bei älteren Patienten untersuchte die ASPREE-Studie. Sie wurde ebenfalls im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Die Teilnehmer waren hier im Durchschnitt 74 Jahre alt und damit älter als in vergleichbaren früheren Studien. Von den über 19.000 Probanden erhielt die Hälfte täglich 100 mg ASS, die anderen Teilnehmer bekamen ein Placebo. Hinsichtlich des Risikos für Herz-Kreislauf-Ereignisse ergab sich kein nennenswerter Vorteil für die ASS-Gruppe. Der Anstieg an inneren Blutungen hingegen war signifikant.

Unerwartet war auch hier ein anderes Ergebnis, nämlich dass die Krebssterblichkeit in der ASS-Gruppe geringfügig höher war. Die Autoren selbst raten jedoch dazu, dieses Resultat nicht überzuinterpretieren, da es im Widerspruch zu bisherigen Meta-Analysen steht. Dennoch bleibt als Fazit bestehen, dass die drei aktuellen Studien insgesamt keinen Nutzen einer Primärprävention von ASS gegen kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt oder Schlaganfall nachweisen konnte, welches das eindeutig erhöhte Risiko für innere Blutungen aufwiegen würde.

Foto: © BillionPhotos.com - Fotolia.com

Hauptkategorien: Medizin , Prävention und Reha
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Blutgerinnungshemmer , Herz-Kreislauf-System , Herzinfarkt , Bluthochdruck , Schlaganfall , Prävention

Weitere Nachrichten zum Thema Acetylsalicylsäure

21.08.2018

Millionen Menschen nehmen täglich ASS zur Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen ein. Eine neue Studie zeigt nun, dass die Standarddosis die meisten Menschen nicht schützt. Offenbar wurde das Körpergewicht bislang unterschätzt.

Aktuelle Nachrichten

Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin