Alle wollen alt werden – aber keiner will alt sein

Wahrheit oder Mythos? Älter werden ist heute mit mehr Jugendlichkeit und Lebensqualität verbunden als noch vor 30 Jahren, besagen Studien. Eine aktuelle deutsch-amerikanisch aber sagt: Rosarot ist es für die Betroffenen deshalb noch lange nicht. – Foto: AdobeStock/Jenny Sturm
„Heute kann man 20 Jahre lang 40 bleiben", sagte einmal der Frankfurter Sportmedizinprofessor Dieter Böhmer bei einer Veranstaltung über die Wirkung von Sport auf das biologische Alter. Ein gewachsenes Gesundheitsbewusstsein, Fortschritte in der Medizin und ein größeres Sport- und Fitnessangebot für die Generation Ü40 sind einige zentrale Erklärungen dafür, warum viele Ältere heute nicht halb so greisenhaft sind ihre Altersgenossen vor ein paar Jahrzehnten.
Studien zeigen: Alte sind gesünder, schlauer und selbstbewusster
„Viele Studien zeigen, dass die heutigen Älteren gesünder, funktionstüchtiger, schlauer, selbstbewusster, zufriedener und weniger einsam sind als Gleichaltrige vor 20 oder 30 Jahren“, heißt es in einer Mitteilung der Humboldt-Universität Berlin. Unter ihrer Beteiligung hat ein deutsch-amerikanisches Wissenschaftsteam jetzt die gesellschaftliche und persönliche Wahrnehmung vom Älterwerden und -sein untersucht. In ihrer Studie kommen die Forscher allerdings zu dem Schluss: So sehr sich die Wahrnehmung des Alterns auch wandeln mag – das persönliche Alt-Sein fühlt sich deswegen längst nicht besser an.
Meinung zum persönlichen Älterwerden: Vergleich von 1990 und 2010
Für ihre Studie verglichen die Wissenschaftler deutsche und amerikanische Daten, die in verschiedenen Jahrzehnten erhoben worden sind: Alterssichtweisen älterer Menschen, die einmal Anfang/Mitte der 1990er-Jahre erhoben wurden – und dann bei derselben Altersgruppe Mitte/Ende der 2010er-Jahre. Eine dieser Facetten war die Frage nach dem subjektiven Alter: „Wie alt fühlen Sie sich?”. Einbezogen wurden dabei Daten aus international anerkannten deutschen und nordamerikanische Studien: den „Berliner Altersstudien“ und der Studie „Mittleres Lebensalter in den USA“ (MIDUS).
Alte heute finden das Altern auch nicht besser als Alte vor 30 Jahren
„Das auch für die Forscher*innen überraschende Hauptergebnis war, dass in keinem der einbezogenen Indikatoren und in keinem der beiden Länder Hinweise auf Verbesserungen in den Alterssichtweisen von älteren Menschen über 15 bis 20 Jahre hinweg beobachtet werden konnten“, heißt es in einem Statement der Studienautoren. Denis Gerstorf, Professor für Entwicklungspsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und einer der Autoren der Studie, sagt dazu: „Die Vielzahl von historischen Verbesserungen im Älterwerden sind demzufolge nicht im Erleben des eigenen Älterwerdens angekommen.“
„Gesellschaftliche Altersbilder haben sich verschlechtert“
Warum ist das so? Und was kann das bedeuten? Die Forscher plädieren dafür, die Sache differenziert zu sehen. „Es gibt Hinweise, dass sich gesellschaftliche Altersbilder im Laufe der letzten Jahrzehnte vielfach verschlechtert haben. Demzufolge wäre dann Stabilität in den Sichtweisen des eigenen Alters ja durchaus eine Art Leistung im Sinne einer Abgrenzung“, betont Hans-Werner Wahl, Senior-Professor an der Universität Heidelberg und Erstautor der Studie. Zweite Interpretationsmöglichkeit: Vielleicht koppeln sich generell Bewertungen des eigenen Lebens (Stichwort „Individualisierung“) immer mehr von allgemein beobachtbaren Veränderungen ab.
Altern im 21. Jahrhundert: Längeres Leben – aber genau deshalb auch mehr Angst vor Demenz und Autonomieverlust
Und drittens: Das Altern Anfang des 21. Jahrhunderts ist eine Medaille mit zwei Seiten. Einerseits ist da das „junge Alter“ als eine Erfolgsgeschichte der Moderne – also die oben beschrieben 40-Jährigen, die – wenn sie Glück haben und/oder etwas dafür tun – 20 Jahre lang fit bleiben wie 40-Jährige, also bis 60; und anderseits die immer höhere Lebenserwartung – das „alte Alter“ und damit einhergehenden Befürchtungen von Demenz und Autonomieverlust. Die Wissenschaftler glauben, dass diese komplexe Mischung aus Faktoren dazu führt, dass es einen spürbaren Unterschied gibt zwischen der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Alterns – und der persönlichen. Und dass generelle, positive Alterstrends von persönlichen Erleben oder den damit verbundenen Befürchtungen ganz oder teilweise aufgefressen werden.