Ärzte: Klimawandel bedroht Gesundheit

Prof. Sabine Gabrysch fordert ein Umdenken beim Fleischkonsum: Massentierhaltung samt Landwirtschaft ist ein großer CO2-Treiber
Schmelzende Gletscher, steigende Meeresspiegel, Eisbären auf grünen Wiesen – all diese Bilder sind für die Deutschen weit weg. Auch dass sich die Wüsten in Indien und Afrika stetig vergrößern und dadurch Millionen Menschen die Lebensgrundlage entzogen wird, ist nicht wirklich greifbar, wenn man in Berlin oder Wanne-Eickel vor dem Fernseher sitzt.
Dabei ist der Klimawandel etwas, was uns alle angeht. „Gesundheit kann es nur auf einem gesunden Planeten geben“, sagte Prof. Detlev Ganten bei einem Pressegespräch am Montag auf dem World Health Summit. „Diesen Zusammenhang versteht jeder.“
Der Klimawandel ist eines der wichtigsten Themen auf dem Gipfeltreffen in Berlin. Bis Mittwoch werden dort Staatschefs, Vertreter von internationalen Gesundheitsorganisationen und Wissenschaftler über die drängendsten Gesundheitsfragen beraten. Der Verlust der biologischen Vielfalt gehört zweifelsohne dazu.
Größte Bedrohung für unsere Gesundheit
„Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für unsere Gesundheit im 21. Jahrhundert, ein medizinischer Notfall für die Erde – wir müssen schnellstens handeln“, so der Appell der Weltgesundheitsexperten.
Jetzt gehe es vor allem darum den Menschen klar zu machen, dass unser Lebensstil die Wurzeln unserer Existenz bedrohe. Aber nicht mit Angstmache, sondern mit positiven Botschaften, hieß es. „Wir müssen mehr darüber reden, was wir gewinnen können“, sagte Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), „Und wir müssen das in einfache Botschaften verpacken.“
Als Beispiel nannte sie den Fleischkonsum, denn der hat mehr mit dem Klimawandel zu tun, als viele denken. Jeder einzelne, aber auch Kantinenbetreiber und Krankenhaus-Caterer müssten umdenken, sagte die Professorin. „Hier steht noch viel zu oft Fleisch und Wurst auf dem Speiseplan und die Menschen haben kaum eine Wahl.“
Landwirtschaft und Massentierhaltung sind ein großer CO2-Treiber
Landwirtschaft, Nutztierhaltung und Landnutzungsänderungen, also etwa Entwaldungen, machen grob 20 bis 25 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen aus. Besonders viel Fläche wird für den Anbau von Futtermitteln benötigt – auf Kosten natürlicher Biosysteme wie Wälder, die einen kühlenden Effekt auf die Erde haben.
Laut WWF Deutschland Chef Christoph Heinrich hat der Waldverlust besorgniserregende Ausmaße angenommen, nicht nur in Brasilien, sondern auch direkt vor unserer Haustür. „Durch Entwaldung berauben wir uns nicht nur einer wichtigen CO2-Senke, wir verursachen obendrein zusätzliche Treibhausgasemissionen: Ein Ökosystem, das ein wichtiger Teil der Lösung ist, wird zum Problemfall.“
Halb so viel Fleisch wäre doppelt gesund
Weniger Fleisch würde auch mehr Gesundheit bedeuten, da der pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland doppelt so hoch ist, wie von Ernährungsexperten empfohlen wird. „Wenn jeder von uns nur halb so viel Fleisch essen würde, wäre das ein vierfacher Gewinn: für unsere Gesundheit, für das Tierwohl, für die Artenvielfalt und für das Klima“, sagte Gabrysch.
Doch wie bringt man Verbraucher dazu, den Burger oder das Schnitzel durch Gemüse zu ersetzen? Der Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen hatte eine durchaus ernst gemeinte Idee, die das Problem mit dem Fleischkonsum drastisch vor Augen führt. „Wer Fleisch kauft, sollte die Gülle gleich mitnehmen müssen", sagte er. „Denn die gehört zum Produkt dazu.
Weniger Fleischkonsum, mehr Wälder aufforsten statt zu roden – das sind den Experten zufolge die wichtigsten beiden Stellschrauben, um die CO2-Emmissionen zu reduzieren. Damit könnte die Erderwärmung verringert werden, nicht aber gänzlich gestoppt werden. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 besagt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, derzeit wird allerdings wird mit einem Temperaturanstieg von mehr als drei Grad gerechnet.
Exotische Krankheiten kommen nach Deutschland
Die Folge des Temperaturanstiegs sind Krankheiten, die man bislang in unseren Breitengraden nicht kannte. Beispiel ist das West-Nil-Virus, mit dem sich vor wenigen Wochen erstmals eine Person in Deutschland angesteckt hat und eine Gehirnentzündung erlitt. "Solche Infektionskrankheiten werden zunehmen, hinzukommen die vielen Hitzetoten, die wir jetzt schon zu beklagen haben“, erklärte World Health Summit Präsident Detlev Ganten.
Um Menschen in überhitzten Wohnungen, Krankenhäusern und Pflegeheimen zu schützen, hatte er einen einfachen Tipp: Nasse Tücher vor die Fenster hängen, feuchte Tücher auf die Stirn und Wadenwickel. „Die Verdunstungskälte ist ein preiswerter und sehr effektiver Hitzeschutz“, so der ehemalige Charité-Vorstand.
Klimaschutz mit Augenmaß gefordert
Klimaanlagen, die wiederum sehr viel Strom fressen, seien aber grundsätzlich nicht zu verteufeln, meinte WWF-Chef Christoph Heinrich, wenn sie dem Zwecke dienten, Menschenleben zu retten. „Wir müssen Klimaschutz mit Augenmaß betreiben“, sagte er. Wichtig seien in diesem Zusammenhang neue Technologien. So könnte die Klimaanlag der Zukunft zum Beispiel mit Solarenergie betrieben werden.
Gehandelt werden muss, so die Experten, an den unterschiedlichsten Ecken und Fronten. Vielleicht haben Ärzte auch deswegen das Thema Klimawandel und Gesundheit lange verdrängt. Doch gerade Gesundheitsberuf haben eine besondere Verantwortung: „Ich erwarte von Ärzten, das sie über ihren Tellerrand blicken und den Mund aufmachen, wenn es darum geht, Leben zu schützen und auf Gesundheitsgefahren hinzuweisen“, sagte Eckart von Hirschhausen.
Dass dies in Deutschland mit reichlich Verspätung passiert, beklagte Sylvia Hartmann, Vorstandsmitglied der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und Vertreterin der Medizinstudierenden BVMD. „In unserem Studium lernen wir viel zu wenig darüber, dass es gesunde Menschen nur auf einem gesunden Planeten kann.“ Deshalb forderte sie: „Das Thema Klimawandel und Gesundheit muss in die Lehrpläne aller Gesundheitsberufe.“
Noch ist da ein dickes Brett zu bohren, aber die Ärzteschaft ist auf einem guten Weg: Der nächste Deutsche Ärztetag wird ganz im Zeichen des Themas stehen, und in Berlin gibt es bereits eine Sprechstunde zum Klimawandel.
„Wir sind spät aufgewacht“, gab Sabine Gabrysch als Vertreterin der Deutschen Ärzteschaft zu. „Aber jetzt werden wir politisch und machen uns für eine gesündere Umwelt und damit für gesündere Menschen stark.“
Foto: World Health Summit