Zahl der Tuberkulose-Fälle sprunghaft gestiegen

Wer nach Deutschland flieht, muss sich einer Röntgenuntersuchung auf Tuberkulose unterziehen, so wie hier vor dem Lageso. Doch nur ein Teil der Flüchtlinge wird tatsächlich untersucht
Im vergangenen Jahr hat es in Deutschland so viele Tuberkulose-Fälle gegeben wie lange nicht. Dem Robert Koch-Institut wurden insgesamt 5.865 Fälle übermittelt. Gegenüber 2014 mit 4.533 gemeldeten Fällen ist das ein Anstieg um 23 Prozent. Die rasant gestiegene Zahl ist offenbar auf die Einreise der vielen Flüchtlinge zurückzuführen, die oft aus Tuberkulose-endemischen Gebieten kommen. So waren 1.255 Flüchtlinge mit Tuberkulose infiziert und dem RKI gemeldet worden. Nach §36 Infektionsschutzgesetz müssen sich alle Asylsuchenden über 15 Jahren einer Röntgenuntersuchung auf Tuberkulose unterziehen. Die aktive Fallsuche dient dazu, Tuberkulose frühzeitig zu entdecken und erkrankte Personen zu behandeln und so auch eine Weiterverbreitung zu verhindern.
Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge wird auf TB untersucht
Allerdings könnten durch die anfangs unkontrollierte Einreise viele Infektionen bislang unentdeckt geblieben sein. Zudem ist die Verwaltung derart überfordert, dass nur ein Bruchteil der Geflüchteten überhaupt untersucht wurde. „Der Anspruch des Gesetzes und die Wirklichkeit liegen noch auseinander“, bestätigte Dr. Torsten Bauer vom Helios Klinikum Emil von Behring dem Tagesspiegel am Sonntag. Bisher habe die Infrastruktur nicht ausgereicht, um die große Anzahl zu bewältigen. Und eine Untersuchung auf latente Tuberkulose mittels Blutproben oder Hauttests, wie sie eigentlich ebenfalls vorgeschrieben ist, sei logistisch schon gar nicht durchführbar, meint der Lungenfacharzt.
Dennoch gibt RKI-Präsident Lothar H. Wieler Entwarnung. „Trotz des Anstiegs der Tuberkulose-Fallzahlen ist das Infektionsrisiko innerhalb der Allgemeinbevölkerung unverändert sehr gering", sagte er anlässlich des Welttuberkulosetags 2016 am 24. März. Auch sei es nicht so, dass jeder Tuberkulose-Erkrankte zwangsläufig infektiös sei. Bei knapp der Hälfte aller Tuberkulosepatienten liegt keine ansteckende, offene Lungentuberkulose vor, sondern eine andere Form der Tuberkulose. Ärzte sprechen von latenter Tuberkulose, wenn das Immunsystem den Erreger in Schach halten kann. Durch große Anstrengungen wie etwa eine Flucht, kann es aber zum Ausbruch einer offenen Tuberkulose kommen.
In erster Linie sind enge Kontaktpersonen von Erkrankten für eine Ansteckung gefährdet. Dies gilt laut RKI aber nur bei längerem oder wiederholtem Kontakt. Tuberkulose-Erreger werden als Tröpfcheninfektion etwa beim Aushusten übertragen. Sie sind aber weniger ansteckend als Masern oder Keuchhusten.
Experte rechnet mit einem weiteren Anstieg der Tuberkulose-Fälle
Dass Tuberkulose und Migration eng zusammenhängen, ist keineswegs neu. Schon in den vergangenen Jahren stammte rund die Hälfte aller bundesweit erfassten Tuberkulose-Patienten nicht aus Deutschland. Experten wie Torsten Bauer rechnen mit einem weiterem Anstieg der Tuberkulose-Fälle: „Ziehen ähnlich viele Geflüchtete zu wie 2015, werden es 2016 wohl um die 9.000 neue Fälle sein, also eine Verdopplung gegenüber 2014“, sagte der Pneumologe dem „Tagesspiegel.“
Wie ernst das Thema inzwischen ist, verdeutlicht auch eine vom Bundesministerium für Gesundheit unterstützte Tagung. Die drei Veranstalter Robert Koch-Institut, Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose und das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien am Forschungszentrum Borstel hatten ihr jährliches Treffen in diesem Jahr ganz dem Thema "Tuberkulose und Migration" gewidmet.