Wie sich der Klimawandel auf die ärztliche Praxis auswirkt

Hitze und damit verbundene Gesundheitsprobleme kennen viele aus dem Urlaub im Süden (im Bild die Temperaturanzeige an einer Apotheke in Italien). Der Klimawandel mit Extremtemperaturen und Trockenheit im Sommer macht sich inzwischen aber auch in Apotheken und Arztpraxen in Deutschland bemerkbar. – Foto: AdobeStock/Dmitry Vereshchagin
Drei Ausschläge nach oben gab es 2020 in der Kurve der offiziellen Todesfallstatistik. Aber nur zwei hatten mit der Corona-Pandemie zu tun. Die dritte lag dazwischen, und hier starben mehr Menschen als üblich – dabei waren Corona-Inzidenz-Zahlen zu dieser Zeit niedrig. „Die außergewöhnliche Hitze im August 2020 forderte bundesweit vermutlich rund 4.000 Tote“, heißt es in einer Analyse der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). „Solche Hitzephasen, die hauptsächlich für ältere Menschen eine große Belastung darstellen, nehmen im Zuge des Klimawandels zu – und sie sind nicht das einzige klimabedingte Phänomen, das sich auf die menschliche Gesundheit auswirkt.“
Bei Hitze: Mehr Kreislaufprobleme, mehr Schlaganfälle
Schon jetzt spüren die Ärztinnen und Ärzte in Praxen und Krankenhäusern die Folgen des Klimawandels in ihrer täglichen Arbeit. „Hitzewellen machen besonders älteren Menschen zu schaffen“, sagt Markus Lerch, Vorsitzender der DGIM und Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums München. „Bei ihnen treten hitzebedingte Probleme wie Herz-Kreislauf-Störungen, Nierenversagen und Schlaganfälle besonders häufig auf.“ Nach einer kürzlich vorgelegten Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und des Klimaforschungsinstituts Mercator (MCC) ergab: Schon jetzt ist jeder Vierte über 65 bei Sommerhitze krankenhausreif – Tendenz steigend.
Starkes Schwitzen stört die Wirkung von Medikamenten
Aber auch Jüngere können an heißen Tagen schnell gesundheitliche Probleme bekommen – insbesondere dann, wenn sie Medikamente einnehmen. So verändert starkes Schwitzen etwa den Insulinbedarf von Diabetikern, und Herz-Kreislauf-Medikamente entfalten einen stärkeren blutdrucksenkenden Effekt. „Während Hitzephasen sollte daher selbst eine gut eingestellte Medikation kritisch überprüft werden“, betont Internist Lerch. Diese Aufgabe komme zuvorderst den Hausärztinnen und Hausärzten zu, die am besten über Allgemeinzustand, Medikation und Lebenssituation ihrer Patientinnen und Patienten informiert seien.
Tropische Tierarten bringen neue Krankheiten mit
Neben den direkten Hitzefolgen hat der Klimawandel weitere gravierende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Mit steigenden Temperaturen wandern ursprünglich in den Tropen beheimatete Tierarten ein und bringen hierzulande bislang kaum bekannte Erreger mit: wie das 2018 in Deutschland erstmals nachgewiesene West-Nil-Virus. Die zunehmend milden Winter führen außerdem zu einer längeren Pollenflugsaison – eine Zusatzbelastung für Allergiker.
„Gesundheitsfolgen der Klimakrise lange unterschätzt“
„Diese Beispiele zeigen, dass wir die gesundheitlichen Auswirkungen von Klimakrise und Extremwetter auf unsere Patienten und Mitbürger lange unterschätzt haben“, sagt der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen, der jetzt eine Fachtagung der DGIM zum Thema „Klimawandel und Medizin“ moderiert. Ärzte könnten Fieber senken, aber keine Außentemperaturen. Bei der Aufklärung über die komplexen Zusammenhänge zwischen Klima, Umweltschutz und „Global Health“ seien Medizinerinnen und Mediziner wichtige Multiplikatoren, um in der Bevölkerung das Bewusstsein für die Risiken des Klimawandels zu schärfen.
Die Ärztinnen und Ärzte stehen nun vor der Herausforderung, ihre Kompetenz im Fach Klimawandelmedizin auf den Stand der Dinge zu bringen und sich für eine zunehmende Anzahl Patienten und neue Krankheitsbilder fit zu machen. „Als Fachgesellschaft setzen wir uns dafür ein, aktiven Kolleginnen und Kollegen wie auch dem ärztlichen Nachwuchs das nötige Rüstzeug mitzugeben, damit sie in ihrem ärztlichen Alltag in Klinik und Praxis auf die neuen medizinischen Herausforderungen der Klimawandelfolgen gut vorbereitet sind“, sagt dazu DGIM-Vorsitzender Lerch.