Wer Fleisch und Wurst isst – isst unfreiwillig Antibiotika

Sie sind da – auch wenn man sie nicht sieht: Antibiotika in Fleisch aus Massentierhaltung. – Foto: AdobeStock/svetlana_cherruty
Antibiotika sind so lebensrettend wie umstritten. Während die verschriebenen Mengen in der Humanmedizin zurückgehen, werden in der Massentierhaltung weiterhin enorme Mengen davon eingesetzt. Die Folge: Der Mensch isst Fleisch von Tieren, die in derselben Zeit viermal so viel Antibiotika verordnet bekommen haben wie er selbst. Das zeigt eine Berechnung des Verbraucherportals „Blitzrechner.de“.
Antibiotika: Resistenzgefahr durch häufige oder falsche Einnahme
Antibiotika sind hochwirksam gegen Bakterien und deshalb auch so wichtig in der Medizin. Werden sie aber zu häufig eingesetzt, zu niedrig dosiert oder zu kurz eingenommen, können Krankheitserreger Resistenzen gegen die Antibiotika entwickeln – das jeweilige Antibiotikum ist damit wirkungslos. Damit dies nicht geschieht, sollten Antibiotika nur dann zum Einsatz kommen, wenn es nicht anders geht, sagen Experten. In der Massentierhaltung ist aber häufig immer noch das Gegenteil der Fall.
Fleischtiere: Viermal so viele Antibiotika wie beim Menschen
„Den meisten Menschen ist nicht klar, auf welche Mengen sich das im Laufe der Zeit summiert", sagt Tim Lilling, Projektleiter bei „blitzrechner.de“. Das Verbraucherportal hat jetzt im Detail ausgerechnet, wie viel Antibiotika Menschen verordnet bekommen – und wie viel in derselben Zeit das Tierfleisch durchlaufen, das der Mensch dann als Rumpsteak, Leberwurst oder Chicken Wings mit Appetit zu sich nimmt. „Im Schnitt bekommt jeder Deutsche innerhalb von 10 Jahren 47 Tagesdosen Antibiotika verschrieben“, sagt Lilling, „die von ihm in dieser Zeit verzehrten Tiere im Durchschnitt aber 219 Tagesdosen."
Antibiotika: Nur nützlich bei präziser Einnahme
Das bedeutet nicht, dass diese Menge eins zu eins beim Menschen ankommt, wenn er das Fleisch dieser Tiere isst. Aber es verdeutlich das Problem, auf das jährlich am 18. November der europäische „Antibiotika-Bewusstseins-Tag“ aufmerksam machen will. Fakt ist, dass Fleischkonsum heute sehr häufig zugleich ein Antibiotika-Konsum ist – und das in einer Dosierung, die völlig zufällig und beliebig ist und die nicht den strengen Vorgaben einer medizinischen Verordnung entspricht. Die kommt nicht von ungefähr: Eine vom Arzt bestimmte exakten Dosis und Dauer ist ein entscheidender Faktor für die Gratwanderung, die bei der Gabe von Antibiotika zu meistern ist: Erfolg, Nebenwirkungen und Risiken liegen hier sehr eng beieinander.
Warum Antibiotika in der Tierhaltung problematisch sind
Als eines der größten Probleme industrieller Fleischproduktion gilt der präventive Einsatz von Antibiotika. Da Tiere in Massenhaltung schnell krank werden können, werden sie häufig behandelt, bevor sie überhaupt erkranken. Und: Wenn ein Tier krank wird, wird aufgrund der Ansteckungsgefahr meist gleich die ganze Herde nochmals behandelt.
AOK-Studie: 670 t Antibiotika jährlich in der Fleischproduktion
Nach einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) ist das Verhältnis zwischen der Verordnung bei Menschen und Nutztieren nicht ganz so dramatisch wie von Blitzrechner.de ermittelt – aber immer noch gravierend genug. Laut Wido werden in Deutschland pro Jahr 670 Tonnen gegen Infektionskrankheiten in der Fleischtierhaltung verabreicht – fast doppelt so viel wie in der Humanmedizin. Hier sind es 339 Tonnen.
EU: 33.000 Tote im Jahr durch multiresistente Keime
Antibiotika gelangen über die Nahrungskette in die Konsumenten: über den Verzehr von Rind- und Schweinefleisch, Geflügel und Fisch, aber auch über das Grundwasser. Die zunehmenden Resistenzen gegen Antibiotika, bei denen Tierproduktion und Fleischkonsum eine große Rolle spielen, verursachen bereits jetzt weltweit schwerwiegende gesundheitliche Probleme. Aktuell sterben nach Angaben der Europäischen Seuchenbehörde ECDC alleine in der EU jedes Jahr rund 33.000 Menschen an Infektionen mit multiresistenten Keimen, gegen die die verfügbaren Antibiotika machtlos sind.
Resistenzproblematik: Experten warnen vor „Pandemie“
Das Problem könnte sich bald noch verschärfen: Experten warnen davor, dass in Zukunft nicht nur von Erregern verursachte Massenerkrankungen wie Corona, sondern nicht-ansteckende – und damit viel leichter vermeidbare – Krankheiten pandemieähnliche Dimensionen annehmen könnten. Hierzu zählen neben der Resistenzproblematik und dem Wirkverlust von Antibiotika zum Beispiel auch der Diabetes vom Typ 2.
Jeder kann Fleisch- und Antibiotika-Konsum für sich errechnen
Weil jeder Verbraucher verschieden viel oder wenig Fleisch ist, kann jeder Einzelne auf dem „Fleischrechner“ der Plattform Blitzrechner.de ausrechnen, wie groß die Antibiotika-Dimension bei seinem individuellen Verbrauch pro Jahr ist. „Dabei sieht er auch gleich, wie sich eine Einschränkung des eigenen Fleischkonsums auf den Einsatz von Antibiotika auswirken würde“, heißt es in einer Mitteilung des Portals. Der Rechner ermittelt den aktuellen Fleischkonsum und errechnet, wie viele Antibiotika und Ressourcen durch diesen Konsum verbraucht werden. Der Nutzer erfährt auch, wie viele Antibiotika und Ressourcen sich einsparen ließen, wenn – zumindest ein Teil des Fleisches – durch alternative Proteinquellen ersetzt werden würde.