Vergiftungen bei Kindern: So handelt man richtig

Erwachsene sehen Arzneimittel – Kinder sehen Bonbons: Rund 120.000-mal kommt es in Deutschland im Jahr zu Vergiftungsnotfällen mit Kindern. Viele dieser Unfälle können durch Prävention vermieden werden. – Foto: AdobeStock/Вячеслав Думчев
Kaum hat der Klempner das Haus verlassen, entdecken wir, wie die kleine Schwester im orangen Frottee-Body den frisch reparierten Geschirrspüler umkrabbelt, der noch nicht wieder an die Wand zurückgeschoben ist. Zwischen allerhand Staubmäusen: ein runde weiße Pille und eine drageéartige grüne. Die Schwester strahlt. Was ist, wenn sie schon eine geschluckt hat? Und wenn ja: welche?
Spülmittel und Pillen: Kinder sehen Limo und Smarties
Nach Zahlen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) passieren jährlich rund 120.000 Vergiftungsunfälle pro Jahr. Die Mehrheit davon oder 60 Prozent betreffen Kleinkinder unter drei Jahren. Oft führen Unachtsamkeiten dazu, dass Kinder Putz- oder Reinigungsmittel, Pflanzenschutzmittel oder Medikamente als Getränke oder Bonbons missverstehen und diese essen oder trinken. Auch von giftigen Pflanzen im Haus oder dem Garten ein Blatt abzupflücken und dieses zu verspeisen, kann zu Vergiftungssymptomen führen.
Kindliche Neugier: Gestern ignoriert, heute geliebt
Viele dieser Unfälle könnten nach Einschätzung des BfR durch Prävention vermieden werden. Eine sinnvolle Strategie zur Prävention von Giftnotfällen kann darin bestehen, dass man versucht, mit den Kindern mitzuwachsen und sich möglichst gut in sie hineinzuversetzen. Im Zweifel siegt bei ihnen immer die Neugier, Stand heute. Was sie noch vor wenigen Wochen links liegen ließen, kann plötzlich zum Faszinosum werden.
Putz- und Lebensmittel nie am selben Ort lagern
Wichtig ist auch, Kleinkinder weder zu über- noch zu unterschätzen. Die körperliche, seelische und geistige Entwicklung ermöglicht es Kindern erst im Lauf der Jahre, Gefahren richtig einzuschätzen. Deshalb sollte man Putz- und Lebensmittel zum Beispiel nie am selben Ort deponieren. Andererseits kann sich die Motorik der Kinder in den ersten Lebensjahren schneller entwickeln, als manchem lieb ist: Dann werden Verschlüsse geöffnet und Fächer erreicht, die noch kurze Zeit zuvor als unerreichbar galten. Experten raten Eltern und Großeltern deshalb dazu, den Haushalt immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und sich zu vergewissern, dass potenziell giftige Substanzen dem Entwicklungsstand des Kindes gemäß sicher verwahrt sind.
Giftnotfall-Checkliste: Am besten zu Haus an die Wand pinnen
„Sollte es zur Einnahme einer giftigen Substanz gekommen sein und das Kind erste Anzeichen einer Vergiftung wie Schwindel, Kopfschmerz, Atemnot, Übelkeit oder Erbrechen zeigen, gilt als oberste Priorität, Ruhe zu bewahren“, sagt Markus Kemper, Chefarzt der Pädiatrie in der Asklepios Klinik Nord in Hamburg. „Nur so sind Sie in der Lage, überlegt und nicht übereilt zu handeln.“ Das fällt dem am Leichtesten, der sich auf den Notfall vorbereitet hat – zum Beispiel mit einer Checkliste, die er etwa in der Küche an die Wand pinnt.
1. Atemwege freihalten
Halten Sie die Atemwege frei und das Kind bei Bewusstsein.
2. Dem Kind zu trinken geben
Ungesüßter Tee oder Wasser ohne Kohlensäure sind empfehlenswert, um beispielsweise ätzende Substanzen aus der Mundhöhle und der Speiseröhre zu spülen und die Konzentration des Giftstoffes im Magen-Darmtrakt zu verdünnen. Verabreichen Sie keine Milch und kein Salzwasser. Unterlassen Sie Versuche, das Kind aktiv zum Erbrechen zu bringen. Dadurch könnten ätzende Substanzen in der Speiseröhre erneut Schaden anrichten.
3. Giftnotrufzentrale kontaktieren und Expertenrat einholen
Nummer der nächsten Giftnotrufzentrale am besten vorbeugend im Adressbuch oder der Kurzwahl des Festnetz- oder Mobiltelefons abspeichern. Dann kann man im Notfall schnell handeln und sich binnen Sekunden Rat bei Spezialisten einholen. In Deutschland sind die acht Giftnotrufzentralen meist Spezialabteilungen der Kinder- und Jugendmedizin an regionalen Universitätsklinika. Alle Telefonnummern finden Sie am Ende des Artikels.
Sowohl beim Giftnotruf als auch bei der Vorstellung in der Klinik ist es wichtig, möglichst genau folgende W-Fragen zu beantworten:
- Wer hat sich vergiftet? Kind oder Erwachsener?
- Wie alt ist die/derjenige und welches Körpergewicht hat sie/er?
- Woran hat sich das Kind vergiftet?
- Welche Menge hat das Kind vermutlich zu sich genommen?
- Wann genau erfolgte die (mutmaßliche) Vergiftung und wann traten die Symptome auf?
Gerade beim Giftnotruf ist hilfreich, wenn Sie schildern, ob das Kind noch bei Bewusstsein ist, ob die Atmung stabil ist oder es sonstige auffällige Erscheinungen gibt. Hier erhalten Sie gegebenenfalls direkt telefonisch Unterstützung bei Erste-Hilfe-Maßnahmen.
4. Bei schweren Fällen: 112 wählen und Erste Hilfe leisten
Bei schweren Symptomen wie Erbrechen, Apathie oder Bewusstlosigkeit sofort den Rettungsdienst (Tel. 112) rufen, der das Kind in eine Spezialklinik bringt. Unbedingt die giftige Substanz ins Krankenhaus mitnehmen (inklusive Behälter, Flasche, Verpackung), gegebenenfalls sogar das Erbrochene. Bei Bewusstlosigkeit Atemwege freihalten und Kind in stabile Seitenlage bringen. Atem- oder Herz-Kreislauf-Stillstand Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen.
(Quellen: Asklepios Klinik Nord, Aktion „Das sichere Haus“, Giftnotruf Berlin)
Notrufnummern der deutschen Giftnotrufzentralen
Berlin:
Giftnotruf der Charité Universitätsmedizin Berlin,
Notruf: 030 192 40
Bonn:
Informationszentrale gegen Vergiftungen, Universitätsklinikum Bonn,
Notruf: 0228 192 40
Erfurt:
Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Helios Klinikum Erfurt,
Notruf: 0361 730 730
Freiburg:
Vergiftungs-Informations-Zentrale, Universitätsklinikum Freiburg,
Notruf: 0761 192 40
Göttingen:
Giftinformationszentrum-Nord Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Universitätsmedizin Göttingen,
Notruf: 0551 192 40 (Jedermann) und 383 180 (Fachleute)
Homburg/Saar:
Informations- und Beratungszentrum für Vergiftungsfälle, Universitätsklinikum des Saarlandes,
Notruf: 06841 192 40
Mainz:
Giftinformationszentrum Rheinland-Pfalz/Hessen, Universitätsmedizin Mainz,
Notruf: 06131 192 40
München:
Giftnotruf München, Klinikum der Technischen Universität München,
Notruf: 089 192 40
(Angaben ohne Gewähr; Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit/BVL)