Sind Antibiotika Ursache für Kreidezähne?

Kreidezähne: Dieser Schaden an der Zahnhartsubstanz ist nach Karies die zweithäufigste Zahnerkrankung bei Kindern. – Foto: Dirk
Acht Prozent aller Sechs- bis Zwölfjährigen oder 450.000 Kinder leiden in Deutschland an sogenannten Kreidezähnen. Sie entstehen in frühester Kindheit, in einer bestimmten Phase der Zahnbildung. Hierbei kommt es zu einer Strukturschädigung der Zahnhartsubstanz. Die Folge: Die Zähne sind gelblich bis bräunlich verfärbt und porös. Teils fehlt sogar der Zahnschmelz und damit die bei gesunden Zähnen extrem harte äußere Schutzschicht. Zähne sind außerdem besonders empfindlich gegenüber Kälte-Reizen und können beim Zähneputzen wehtun. Obwohl Kreidezähne neben Karies die häufigste Zahnerkrankung bei Kindern sind, steht die Klärung ihrer Ursachen durch die Wissenschaft immer noch aus. Der Barmer-Zahnreport 2021 festigt jetzt eine der bisher entwickelten Hypothesen: nämlich dass in den ersten vier Lebensjahren verabreichte Antibiotika eine Rolle spielen könnten.
Kreidezähne: Diese Ursachen werden diskutiert
In der Fachsprache heißt die Krankheit „Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation“ (MIH) (lat./griech.: „Mahlzähne-Schneidezähne-Untermineralisation"). Folgende mögliche Ursachen oder ein Zusammenspiel davon werden in der Wissenschaft als Erklärungsansätze diskutiert: Dioxin oder PCB in der Muttermilch, Mikroplastik in Spielzeugen oder in kosmetischen Produkten, Kunststoffweichmacher wie Bisphenol A in Babyprodukten, Probleme in der Schwangerschaft, Erkrankungen wie Windpocken, aber auch die Einnahme von Antibiotika.
Barmer prüft Zusammenhang Arzneimittel-Kreidezähne
Die zuletzt genannte Hypothese hat jetzt durch den „Barmer-Zahnreport 2021“ der gleichnamigen Krankenkasse neue Nahrung erhalten. Um möglichen Ursachen von Krankheiten auf die Spur zu kommen, kann ein Weg für die Gewinnung neuer Erkenntnisse die Analyse von Abrechnungsdaten nach der Behandlung Versicherter sein. Weil unter anderem ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von bestimmten Arzneimitteln und der Entstehung von Kreidezähnen vorstellbar ist, haben Experten der Krankenkasse jetzt unterschiedliche Gruppen von Medikamentenverordnungen bei Kindern mit und ohne Kreidezähnen untersucht. Dabei wurden auch unterschiedliche Antibiotika geprüft, die etwa bei Atem- oder Harnwegs-Infekten zum Einsatz kommen.
Kinder mit Kreidezähnen: Zehn Prozent mehr Antibiotika
Nach Erkenntnissen aus dieser Analyse bekamen Kinder mit Kreidezähnen in den ersten vier Lebensjahren häufig angewendete Antibiotika um bis zu 10 Prozent öfter verschrieben als Gleichaltrige ohne Kreidezähne. „Kinder haben häufiger Kreidezähne, wenn sie in den ersten vier Lebensjahren bestimmte Antibiotika erhalten haben“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub. Für ihn steht fest: „Die Verordnung von Antibiotika steht in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Auftreten von Kreidezähnen.“
Gleichwohl nimmt der Barmer-Zahnreport ausdrücklich nicht für sich in Anspruch, auf das Problem eine abschließende Antwort gegeben zu haben. Man wisse nur, dass ein Zusammenhang zwischen Antibiotika-Gabe und Kreidezähnen existierte. Wie genau dieser funktioniere, müsse durch weitere Forschungsprojekte erst noch geklärt werden.
Daten und Fakten zum Thema „Kreidezähne“
Neben der Ursachenforschung hat der Barmer-Zahnreport auch eine Bestandsaufnahme zum Phänomen der Kreidezähne gemacht. Hier ein paar interessante Daten und Fakten:
- Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Zuletzt hatten 9,1 Prozent der Mädchen und 7,6 Prozent der Jungen eine so schwere Form der Kreidezähne, dass sie zahnärztlich behandelt werden mussten.
- Kinder bekommen seltener Kreidezähne, wenn die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt noch sehr jung oder schon älter als 40 Jahre war.
- Mütter, die bei der Geburt zwischen 30 und 40 sind, haben gut doppelt so häufig Kinder mit Kreidezähnen.
(Quelle: Barmer-Zahnreport 2021)
Kreidezähne: Am meisten in NRW, am wenigsten in Hamburg
Die Datenauswertung der Barmer zeigt auch: Innerhalb Deutschlands gibt es massive Unterschiede beim Auftreten der Kreidezähne, die rein medizinisch nicht erklärbar sind. Ein Vergleich nach Bundesländern zeigt: Der Anteil an Sechs- bis Neunjährigen mit einer behandlungsbedürftigen „Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation“ (MIH) lag mit 10,2 Prozent in Nordrhein-Westfalen am höchsten und mit 5,5 Prozent in Hamburg am niedrigsten. Bei der Betrachtung der einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte sind die Unterschiede noch größer. Hier reichte das berechnete Auftreten von 3,3 Prozent in Memmingen im Allgäu bis hin zu 14,7 Prozent in Kaiserslautern im Pfälzerwald. Sucht man nach größeren, regionalen Schwerpunkten, so zeigt sich, dass besonders Kinder im äußersten Westen und Nordosten Deutschlands von schwerer MIH betroffen sind.