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„Selbstmanagement gewinnt bei rheumatoider Arthritis an Bedeutung”

Donnerstag, 19. Mai 2016 – Autor:
Bei vielen Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) werden die gesteckten Therapieziele nicht erreicht. Über die vielfältigen Ursachen und Verbesserungspotenziale spricht der Rheuma-Spezialist Prof. Dr. Jörn Kekow im Interview mit Gesundheitsstadt Berlin.
Prof. Dr. Jörn Kekow

Prof. Dr. Jörn Kekow

Herr Professor Kekow, in Deutschland sind rund 800.000 Menschen von rheumatoider Arthritis betroffen. Wie gut sind diese Menschen versorgt?

Kekow: Allgemein kann man sagen, dass die gesundheitliche Versorgung gut ist. In ländlichen Regionen ist sie jedoch nicht so, wie man sich das wünscht. Es gibt dort einfach zu wenig Internistische Rheumatologen.

Wie viele Rheumatologen würden denn gebraucht?

Kekow: Die Zielgröße ist ein Facharzt pro 50.000 Einwohner. In den Städten wird diese Zahl auch meistens erreicht. Auf dem Land gibt es dagegen Menschen, die nicht selten mehr als einhundert Kilometer in die nächste Rheuma-Praxis fahren müssen.

Schlägt sich diese Versorgungslücke auch auf das medizinische Outcome nieder?

Kekow: Wir wissen aus Studien, dass ein Drittel der Patienten mit rheumatoider Arthritis keine Remission – also keinen Krankheitsstillstand – erreicht. Der eben angesprochene Facharztmangel auf dem Land spielt dabei sicher eine Rolle. Entscheidender aber ist, dass die Medikamente, die wir augenblicklich haben, nicht bei allen Patienten gleich gut wirken. Hinzukommen große Lücken bei der Therapietreue und in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Die Sorge vor Nebenwirkungen führt dazu, dass die Patienten ihre Medikamente oft nicht wie vorgesehen einnehmen. Vielfach ist die Zeit in der Sprechstunde zu kurz, um auf Probleme einzugehen. All diese Dinge tragen dazu bei, dass viele RA-Patienten ihre Therapieziele nicht erreichen.

Bleiben wir zunächst bei den Medikamenten. Hat sich da nicht in den letzten Jahren Einiges getan?

Kekow: Sicher war die Einführung der Biologika ein Fortschritt. Diese Medikamente kommen dann zum Einsatz, wenn der Goldstandard Methotrexat (MTX) und andere krankheitsmodellierende Basistherapeutika nicht zum gewünschten Erfolg führen. Aber auch die Biologika sind kein Garant für einen guten Behandlungserfolg. Bei rund 30 Prozent der Fälle bleibt eine zum Teil erhebliche Restaktivität der Erkrankung bestehen.

Das heißt, es müssten idealerweise noch wirksamere Medikamente entwickelt werden?

Kekow: Das wäre wünschenswert, auch im Hinblick auf eine bessere Verträglichkeit. Denn Medikamentenunverträglichkeit führt oft zu Therapieabbrüchen.

Sie meinen, viele RA-Patienten nehmen ihre Medikamente aufgrund der Nebenwirkungen nicht regelmäßig ein?

Kekow: Das weiß ich aus der Praxis, aber auch aus vielen Studien. Die RA NarRAtive-Studie mit 3.649 RA-Patienten hat zum Beispiel gezeigt, dass 56 Prozent der Patienten über Probleme mit der Verträglichkeit berichten und 38 Prozent ihre Medikamente nicht regelmäßig einnehmen. So wird das Fortschreiten der Krankheit begünstigt, mit allen Folgen, die wir kennen.

Was können Ärzte tun, damit mehr Patienten ihre Therapieziele erreichen?

Kekow: Eine offene Gesprächskultur und ein gutes Vertrauensverhältnis sind bei einer chronischen Erkrankung wie der rheumatoiden Arthritis unverzichtbar. Dazu gehören allerdings immer zwei. Wir erleben ganz oft, dass Arzt und Patient aneinander vorbei reden, weil jeder andere Vorstellungen von den zu erreichenden Therapiezielen hat.

Welche Therapieziele sind den Ärzten wichtig und welche den Patienten?

Kekow: Vereinfacht gesagt schauen Ärzte in erster Linie auf gut messbare Werte, also Laborparameter, den Rückgang der Zahl geschwollener Gelenke und den Stopp der Gelenkzerstörung im Röntgenbild. Bei Patienten steht dagegen die Lebensqualität im Vordergrund. Habe ich Schmerzen, leide ich an starker Erschöpfung, in der Literatur auch Fatigue genannt, oder wie gut ist meine Teilhabe am Leben? Sie müssen wissen, dass etwa die Hälfte der Patienten gewohnten Aktivitäten nicht mehr nachgehen können und fast jeder Dritte wegen der Erkrankung nach kurzer Zeit nicht mehr im Berufsleben steht.

Wie lassen sich solch unterschiedlichen Vorstellungen besser unter einen Hut bringen?

Kekow: In den letzten Jahren hat das „Selbstmanagement“ an Bedeutung gewonnen. Hierbei steht der aufgeklärte, selbstbewusste Patient im Vordergrund, der offen seine Wünsche und Therapieziele gegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringt.

Die Deutsche Rheuma-Liga bietet dazu inzwischen Kurse an.

Kekow: Das ist richtig und wichtig. In solchen Kursen erhalten die Patienten viele Informationen über ihre Krankheit, unter anderem auch Tipps, wie sie sich auf das Gespräch mit dem Arzt vorbereiten können. Die Leitidee ist, die Patienten heraus aus der Opferrolle zu bringen – hin zu einem selbstbewussten Rheuma-Manager.

Prof. Dr. med. habil. Jörn Kekow ist Chefarzt der Klinik für Rheumatologie an der HELIOS Fachklinik Vogelsang-Gommern sowie Präsident des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der Deutschen Rheumaliga e.V.

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin
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