
Studie: In NRW ist fast jeder vierte Rettungshelfer Opfer von körperlicher Gewalt geworden – Foto: ©benjaminnolte - stock.adobe.com
Sie wollen Kranke und Verletzte retten, und werden selbst immer öfter Opfer von verbaler oder körperlicher Gewalt: Notärzte, Notfallsanitäter und Rettungsassistenten haben inzwischen einen gefährlichen Beruf. In letzter Zeit mehren sich Nachrichten von solchen Übergriffen in Deutschland.
Nun haben Kriminologen der Ruhr-Universität Bochum (RUB) Rettungskräfte aus Nordrhein-Westfalen zu ihren Gewalterfahrungen im Jahr 2017 befragt. Das Ergebnis übertrifft die schlimmsten Befürchtungen: 92 Prozent der Notärzte und Sanitäter wurden demnach angepöbelt und beschimpft, 75 Prozent berichteten von einem nonverbalen Übergriff wie Stinkefinger zeigen und 26 Prozent wurden Opfer von körperlicher Gewalt. Feuerwehrleute waren wesentlicher seltener betroffen: Von ihnen wurden im letzten Jahr „nur“ 36 Prozent beleidigt oder beschimpft und 2 Prozent erlebten körperliche Übergriffe.
Nachts und in Großstädten sind Rettungseinsätze nach der Studie am gefährlichsten: Über 60 Prozent aller Fälle ereigneten sich demnach nachts. In Städten über 500.000 Einwohnern wie Köln kam es doppelt so häufig zu Übergriffen auf Rettungskräfte wie in kleineren Städten. Besonders betroffen waren zudem die Innenstädte. Einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Einsatzkräften konnte die Studie nicht feststellen.
Wer macht so etwas?
„Rund 90 Prozent der Täter sind männlich und zwischen 20 und 40 Jahre alt“, berichtet Marvin Weigert von der RUB, der für die Auswertung der Befragung zuständig war. Die Täter entstammten überwiegend dem unmittelbaren Umfeld der Hilfesuchenden und seien in 55 Prozent der Fälle alkoholisiert gewesen.
Wie damit umgehen?
Die Kriminologen fordern nun, die Rettungskräfte im Umgang mit solchen Angriffen besser zu schulen. „Die Gewaltprävention muss angemessen in Aus- und Fortbildung aufgenommen werden, um wirksam werden zu können, erklärt Prof. Dr. Thomas Feltes vom Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der RUB. Dieses Anliegen äußerten auch die Befragten: Fast alle Befragten wünschten sich, intensiver auf eskalierende Einsatzsituationen vorbereitet zu werden und gewaltpräventive Maßnahmen zu erlernen, insbesondere Fortbildungen zu Deeskalationstechniken und körperschonenden Abwehrtechniken stehen hier auf der Wunschliste.
Die meisten melden Vorfälle nicht
Die Umfrage hatte außerdem ergeben, dass etwa 80 Prozent der attackierten Einsatzkräfte den letzten Übergriff auf ihre Person nicht gemeldet hatten. Die meisten begründeten das damit, dass die Situationen für sie Bagatellcharakter hatten und sich an der Situation nichts ändern würde, wenn sie den Vorfall melden würden. Einsatzkräfte, die Opfer körperlicher Gewalt geworden waren, meldeten dagegen den Übergriff in 70 Prozent der Fälle. Die Hälfte aller betroffenen Einsatzkräfte gab an, dass der Meldeweg nicht eindeutig beschrieben sei. Feltes sieht Handlungsbedarf: Die Einsatzkräfte müssten sensibilisiert werden, Übergriffe jeglicher Art zu melden, betont er.. „Nur auf dieser Datenbasis können sinnvolle Präventionsmaßnahmen angeboten und ihr Erfolg evaluiert werden."
An der Umfrage nahmen 4.800 Rettungskräfte teil. Das sind gerade mal 18 Prozent der der angefragten Personen. „Möglicherweise betrifft das Problem doch weniger Rettungskräfte als gedacht“, spekuliert Feltes. Außerdem gibt der Kriminologe zu bedenken, dass die Rettungskräfte pro Jahr mehrere Hundert Einsätze absolvieren. Vor diesem Hintergrund seien gewalttätige Übergriffe nach wie vor ein doch eher ein seltenes Ereignis.
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