Neuer Mechanismus bei Spinaler Muskelatrophie entdeckt

Durch die Spinale Muskelatrophie kommt es zur Schwäche und Verschmächtigung der Muskulatur – Foto: bluraz - Fotolia
Bei der Spinalen Muskelatrophie (SMA) kommt es zu einem fortschreitenden Untergang von motorischen Nervenzellen im Vorderhorn des Rückenmarks. Durch den Rückgang der Neurone können Impulse nicht mehr an die Muskeln weitergeleitet werden. Lähmungen, verminderte Muskelspannung und Muskelschwund sind die Folge. Die Spinale Muskelatrophie gehört zu den Seltenen Erkrankungen. In Europa und den USA leiden Schätzungen zufolge rund 30.000 Menschen daran. Gleichzeitig ist die Erkrankung die häufigste genetische Todesursache im Kindesalter. Eine Therapie gegen die Spinale Muskelatrophie gibt es bislang nicht. Forscher um Professor Brunhilde Wirth vom Institut für Humangenetik der Uniklinik Köln haben nun einen zellulären Mechanismus gefunden, der bei SMA eine wichtige Rolle spielt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im Forschungsmagazin The American Journal of Human Genetics.
PLS3 schützt vor SMA
Bekannt war bisher, dass es bei der Spinalen Muskelatrophie zu einem Verlust des SMN1-Gens kommt, was zum Absterben der Motoneuronen führt. Das SMN1-Gen ist die Grundlage für die Herstellung des SMN-Proteins. Da SMN ein essentielles Protein ist, eröffnet sich die Frage, weshalb Motoneuronen besonders von dem SMN-Verlust betroffen sind. Um dieser Frage nachzugehen, haben die Forscher eine einzigartige Beobachtung zu Nutze gemacht. In seltenen Fällen finden sich in einigen SMA-Familien Mitglieder, die dieselben SMN1-Mutationen und dieselbe Anzahl von SMN2-Kopien wie ihre erkrankten Geschwister oder Familienangehörige haben. Ansonsten jedoch sind sie völlig gesund. Die Forscher stellten die Hypothese auf, dass diese Menschen modifizierende Gene in ihrem Erbgut tragen, die sie vor der Erkrankung schützen. Vor einigen Jahren nun haben Wirth und ihre Arbeitsgruppe das bisher einzig bekannte Gen gefunden, dass vor dem Verlust des wichtigen Proteins schützt: Plastin 3 (PLS3).
Hoffnung auf neue Therapieoption bei Spinaler Muskelatrophie
PLS3 sowie ein mit PLS3 interagierendes Protein, Coronin 1C (CORO1C), haben die Wissenschaftler zum zellulären Mechanismus der Krankheit geführt. Der Postdoktorand Seyyedmohsen Hosseinibarkooie hat durch seine Arbeit gezeigt, dass geringe SMN-Mengen zu einer gestörten Aufnahme von Feststoffen oder Flüssigkeiten durch eine Zelle (Endozytose) führen. Diese Fehlfunktion kann durch PLS3 oder CORO1C wiederhergestellt werden. Durch Endozytose wird nicht nur der Neurotransmitter Acetylcholin, sondern auch andere wichtige Moleküle im Motorneuron aufgenommen. Die Endozytose ist für Motoneuronen unabdingbar und wird durch unterschiedliche Endozytose-Typen sichergestellt.
Der Doktorandin Miriam Peters ist durch eine kombinierte Therapie von geringen Mengen an SMN-Antisense Oligonukleotiden (ASOs) in Kombination mit der PLS3-Überexpression eine Lebensverlängerung des SMA-Mausmodels von 10 auf 250 Tage gelungen. Diese Situation kann mit der von schwer betroffenen Pateinten mit SMA verglichen werden, wo eine ASO-Therapie einen leichten Anstieg von SMN ermöglicht, der aber nicht ausreicht, um diese Menschen zu heilen. Eine kombinierte Therapie mit einem zweiten Wirkstoff, der PLS3, Endozytose oder F-Aktin erhöht, könnte jedoch eine langfristige therapeutische Option für die Behandlung von Menschen mit SMA darstellen.
Untergang von motorischen Nervenzellen führt zur Muskelatrophie
Bei gesunden Menschen ziehen sich Muskelfasern durch die Aktivierung von Nervenfasern zusammen. Dadurch wird der Muskel je nach der Zahl der beteiligten Muskelfasern kürzer (Anspannung), was eine Bewegung ermöglicht. Bei der Spinalen Muskelatrophie kommt es zum Untergang von Zellen im zweiten motorischen Neuron im Rückenmark. Die Muskelfasern werden nicht mehr richtig angesprochen und können sich nicht mehr zusammenziehen. Durch die fehlende Bewegung kommt es allmählich zu einer Verschmächtigung der Muskeln.
Bei der infantilen Form der Spinalen Muskelatrophie werden eine akute und eine intermediäre Form unterschieden. Die akute Form beginnt bereits im Mutterleib. Die Neugeborenen zeigen einen verminderten Muskeltonus; die Fähigkeit zu Spontanbewegungen ist reduziert. Die Kinder können ihren Kopf oft nicht selbständig halten oder frei sitzen. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen ist die Krankheit so stark ausgeprägt, dass sie innerhalb der ersten beiden Lebensjahre versterben.
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