Neue Parkinson Leitlinie nimmt Fehldiagnosen in den Blick
In Deutschland leiden etwa 200.000 Menschen an der neurodegenerativen Krankheit Morbus Parkinson. Die optimale Behandlung sollte sich idealerweise an der S3-Leitlinie „Idiopathisches Parkinson-Syndrom“ (IPS) orientieren. Nun ist das Regelwerk der Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) nach vier Jahren Überarbeitungszeit neu erschienen. Allein die Kurzversion umfasst 73 Seiten.
Neben dem Schwerpunkt medikamentöse Therapien bis hin zur Tiefen Hirnstimulation befasst sich die Leitlinie ausführlich mit der Diagnostik von Parkinson. Ärzten wird geraten, ihre Patienten bei Verdacht auf ein Idiopathisches Parkinson-Syndrom unbedingt an einen Parkinson-Spezialisten zu überweisen. Begründet wird dies mit einer hohen Rate an Fehldiagnosen. So stellt sich bei Hausärzten knapp jede zweite Parkinson-Diagnose als Irrtum heraus, bei Fachärzten jede vierte.
Parkinson-Diagnostik gehört in Spezialistenhände
„Als Faustregel gilt, dass die frühe Diagnose und Differentialdiagnose des Parkinson-Syndroms in erster Linie auf der kompetenten neurologischen Anamnese und Untersuchung basieren“, so Prof. Heinz Reichmann aus Dresden, Mitglied der Leitlinien-Steuergruppe. In einigen unklaren Fällen könnten bildgebende Zusatzuntersuchungen wie die craniale Computertomographie (cCT) oder die craniale konventionelle strukturelle Magnetresonanztomographie (MRT) hilfreich sein. Von einer funktionellen MRT raten die Experten jedoch ab. Vielmehr wird bei klinisch unklarem Parkinson- oder Tremor-Syndrom um Nachweis eines nigrostriatalen Defizits der Einsatz des präsynaptischen Dopamin-Transporter-SPECT (DAT-SPECT) empfohlen. Um die Verdachtsdiagnose zu erhärten, könne auch ein Riechtest weiterführend sein, da Parkinson schon früh mit einem Riechverlust einhergeht. Allerdings sollte der Riechtest wegen seiner geringen Spezifität nicht als alleiniges Screening-Instrument zum Einsatz kommen, sondern mit motorischen Tests kombiniert werden.
Physiotherapie kann offenbar Symptome lindern
Erstmals werden in der S3-Leitlinie auch alternative Therapieansätze wie Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädische Therapie bewertet. Physiotherapie mit Schwerpunkten wie Gangtraining, Gleichgewichtsübungen, Kraft- und Dehnungsübungen sowie Sturzprävention hat dabei die höchste Evidenzstufe erhalten. Das heißt, dass die Wirkung derartiger Maßnahmen besonders gut belegt ist. „Das Ziel ist die Wiederherstellung, Erhaltung oder Förderung der Beweglichkeit, dabei aber auch häufig Schmerzfreiheit, Wohlbefinden, Partizipation und Selbstständigkeit“, so Prof. Günther Deuschl, drittes Mitglied der Steuergruppe.
Da etwa 70 bis 80 Prozent der Parkinson-Patienten im Krankheitsverlauf eine Sprechstörung entwickeln, wird eine logopädische Sprechtherapie empfohlen. Laut Beurteilung ist deren Wirkung aber nur von vorübergehender Dauer. Auch bei Schluckstörungen wird der Logopädie ein Nutzen bescheinigt. Darüber hinaus wird Ergotherapie als hilfreich angesehen, wenn Patienten in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind.
Depressionen mitbehandeln
Neu bewertet wurden auch zahlreiche Studien zur Behandlung psychiatrischer Symptome. Für die rund 40 Prozent von Depressionen betroffenen Parkinson-Patienten empfehlen die Experten selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, insbesondere den Wirkstoff Venlafaxin. Zudem sollten die Patienten in allen Phasen der Erkrankung Zugang zu psychosozialer und sozialrechtlicher Beratung erhalten.
Medizinische Leitlinien sind Empfehlungen für Ärzte, die den neuesten wissenschaftlichen Stand darstellen. Bindend für Ärzte sind sie aber nicht. Eine S3-Leitlinie bedeutet die höchste Qualitätsstufe.
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