
Andreas Pfeiffer ist Ernährungsmediziner – Foto: Till Budde
Die Alternativmedizin behauptet, dass viele Menschen übersäuert sind. Was ist dran an dieser These?
Nicht viel. Der Grund ist, dass Menschen den Säure-Basen Haushalt Ihres Körpers sehr genau regeln können.
Die Säuren sollen sich im Bindegewebe anreichern?
Das Problem bei dieser These ist, dass derartige Messungen bisher nicht bzw. kaum gemacht wurden. Da stellt sich schon die Frage, worauf sich die Vertreter berufen.
Kann sich über einen längeren Zeitraum eine chronische Übersäuerung des Körpers einschleichen?
Normalerweise nicht. Die Säure im Blut wird sehr präzise reguliert durch zwei Regulationssysteme. Zum einen über die Lunge, wir können Säure quasi abatmen und dadurch das Blut alkalischer machen. Das kann sehr schnell gehen, wenn wir zum Beispiel hyperventilieren. Das zweite System ist der Stoffwechsel. So scheidet zum Beispiel die Niere Säure aus, die wir mit der Nahrung aufgenommen haben. Nur wenn diese Systeme entgleisen, kommt es zu schweren Krankheiten.
Was passiert, wenn der durchschnittliche ph-Wert unter 7,4 sinkt?
Das passiert bei gesunden Menschen nicht. Wenn Sie viel Säure generieren, zum Beispiel wenn Sie viel Fette verbrennen, oder wenn Sie eine Stunde lang joggen, dann sind Sie zwar anschließend sauer. Aber solche Entgleisungen korrigiert der Körper sehr schnell, er kann den ph-Wert bis auf ein Zehntel genau einstellen. Es gibt allerdings chronische Azidosen, also Übersäuerungen, die unter anderem zu einer Nierenverkalkung führen. Die meisten Menschen leben aber viele Jahre mit solchen Erkrankungen, bevor sie überhaupt diagnostiziert werden.
Führt Rauchen, wenig Bewegung, schlechter Schlaf zu einer Übersäuerung?
Das alles ist natürlich schädlich. Aber Rauchen macht keine Säure. Rauchen schädigt schnell die Gefäße und kann auch die Krebsgefahr erhöhen, weil es Mutationen auslöst. Auch Bewegungsmangel führt nicht per se zu einer Ansäuerung.
Die Verfechter der Übersäuerungstheorie meinen, dass der Körper bei Schlafmangel, Rauchen usw. zu wenig Sauerstoff erhält, so dass er weniger Energie gewinnt und sich Milchsäure bildet, wodurch der Körper übersäuert wird. Das klingt doch plausibel.
Ist es aber nicht. Unser Körper sorgt dafür, dass wir eine 98-prozentige Sauerstoffsättigung haben. Bei manchen Krankheiten ist zwar die Sauerstoffsättigung niedriger, zum Beispiel bei chronischen Lungenerkrankungen. Das verursacht natürlich viele Probleme. Aber meist kann man mit vermehrter Säure gut umgehen. Ein gesunder Mensch ist nicht hypoxisch, hat also keinen Sauerstoffmangel.
Wie ist denn der Mythos der Übersäuerung überhaupt entstanden?
Vielleicht weil in den vergangenen Jahrhunderten die Theorie von den Körpersäften herrschte. Aber es gibt ja viele ähnliche Theorien, wie zum Beispiel die Trennkost, die von Übersäuerung ausgeht, weil es im Darm zu Vergärungsprozessen kommt und bei Vergärung Säure entsteht. Aber all diese Theorien sind veraltet.
Essen wir zu saure Nahrungsmittel?
Wie gesagt, der Körper kann zu viel Säure gut abpuffern. Zwar kann er sie nur begrenzt im saurem Urin ausscheiden. Aber dann besitzt er ja die Puffersysteme im Blut, vor allem das Bicarbonat Puffersystem. Sie müssen sich vorstellen, dass ein gesunder Mensch etwa 20-mal so viele freie Basenmoleküle im Körper hat wie freie Säuremoleküle und damit einen gewaltigen Puffer, der ihn vor einer Übersäuerung schützt. Dass Säure die böse Ursache von Krankheiten ist, wird kaum jemand in der Ernährungswissenschaft akzeptieren. Zucker und Weißmehl zum Beispiel hat mit Säure nichts zu tun, dass gilt auch für gesättigte Fette. Das Problem ist einfach, dass wir erstens zu viel essen und zweitens dass ungesundes Essen den Stoffwechsel belastet.
Dann können basische Lebensmittel den Körper auch nicht basischer machen?
Richtig. Eine pflanzliche Ernährung hat sicherlich viele Argumente für sich, aber nicht unbedingt um den Säure-Basen Haushalt im Gleichgewicht zu halten. Gut sind hier die Mikronährstoffe, die der Stoffwechsel braucht. Gemüse hat zum Beispiel auch wenig Kalorien, aber viel Polyphenole, Salze, Magnesium und viele Vitamine.
Foto: Till Budde/DIfE