Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Medikamentenpreise: Deutschland weiter am teuersten

Donnerstag, 5. Oktober 2017 – Autor:
Von Jahr zu Jahr erhöhen sich die Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel. Laut Arzneiverordnungs-Report stiegen die Kosten 2016 doppelt so schnell wie das Volumen der von Ärzten verschriebenen Präparate. Hauptursache: Bei neuen, patentgeschützten Medikamenten dürfen Pharmafirmen die Preise erst einmal völlig frei bestimmen.
Arzneiverordnungs-Report 2017 Podium

"Sie kosten mehr, als sie wert sind": Prof. Dr. Ulrich Schwabe (1.v.li.), Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports über patentgeschützte Arzneimittel in Deutschland.

38,5 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2016 für Arzneimittel ausgegeben, inklusive der Zuzahlungen, die jeder Versicherte aus eigener Tasche leisten muss. Die Kosten für Medikamente erhöhten sich damit um 3,9 Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor. Das Volumen der verordneten Medikamente wuchs im selben Zeitraum aber nur gut halb so stark – um 2,1 Prozent. „2016 wurden mehr, aber vor allem auch teurere Arzneimittel verordnet“, kritisiert Ulrich Schwabe, Herausgeber des jährlich erscheinenden und jetzt wieder frisch aufgelegten Arzneiverordnungs-Reports. „Hauptursache dafür war die überproportionale Kostensteigerung bei den patentgeschützten Wirkstoffen.“

Österreich oder Niederlande: 20 Prozent günstiger

Die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports registrieren seit Jahren einen „anhaltenden Trend zu neuen hochpreisigen Arzneimitteln im patentgeschützten Markt“. Sie illustrieren das mit der Preisentwicklung in diesem Segment im zurückliegenden Jahrzehnt: Noch 2006 lag der Einzelumsatz pro Verordnung bei dem einen Prozent der teuersten Produkte bei 946 Euro brutto. 2016 waren es mindestens 3.979 Euro – gut viermal so viel. "Patentgeschützte Arzneimittel sind in Deutschland besonders teuer“, konstatiert Jürgen Klauber, ebenfalls Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). In Ländern wie Österreich oder den Niederlanden, deren Wirtschaftskraft mit Deutschland vergleichbar sei, lägen „die öffentlich bekannten Listenpreise etwa 20 Prozent günstiger als bei uns".

Deutschland – „Preisparadies für die Pharma-Industrie“

Manche Kritiker bezeichnen Deutschland deshalb als eine Art Preisparadies für die pharmazeutische Industrie. Grundsätzliche Kritik richtet auch der diesjährige Arzneiverordnungs-Report an die immer wieder als seltsam liberal erachteten und von der Politik letztlich zugelassenen Rahmenbedingungen bei der Preisfindung. Als Besonderheit des deutschen Arzneimittelmarktes nennt Herausgeber Ulrich Schwabe die freie Preisbildung von Patentarzneimitteln im ersten Jahr nach der Markteinführung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und ihrer Mitglieder. „Für dieses Privileg musste die GKV seit 2011 insgesamt 834 Millionen Euro mehr zahlen als nach Abschluss der Preisverhandlungen. Das gibt es in keinem europäischen Land, dass die Krankenkassen erst zahlen müssen und dann einen Preis verhandeln können.“ Als „schlimmstes Beispiel“ für eine solche Preisstrategie nennt Schwabe das Präparat Tecfidera zur Behandlung von Multipler Sklerose: „Es kam in Deutschland mit einem 80 Prozent höheren Listenpreis als in den Niederlanden auf den Markt. Das liegt schon an der Grenze zum Wucherpreis.“ Ganz besonders die gentechnologisch hergestellten Biologika treiben die Ausgaben im Patentmarkt demnach in die Höhe.

Drittgrößter Kostenblock bei den gesetzlichen Krankenkassen

Pillen, Tropfen oder Spritzen machen mit einem Anteil von 17,2 Prozent den drittgrößten Kostenblock innerhalb der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen aus – gerade noch. Nur mit einem hauchdünnen Abstand vor ihnen liegt die Heiltätigkeit der ambulanten Ärzte mit 17,3 Prozent. Größter Einzelposten im Ausgabenkatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung ist die stationäre Behandlung von Patienten im Krankenhaus mit 34,7 Prozent. Dies zeigen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums.

Einmal mussten Passagen geschwärzt werden

Der Arzneiverordnungs-Report erscheint jährlich seit 1985 und gilt als Standardwerk. Im Report werden die Verschreibungspraxis von Vertragsärzten und -zahnärzten analysiert und zugleich die jährlichen Arzneimittelkosten der GKV erfasst. Die Autoren erheben den Anspruch, eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für den fachlichen Austausch zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen bereitzustellen und die Markt- und Kostentransparenz im Arzneimittelbereich zu erhöhen. Zugleich gilt der Arzneiverordnungs-Report als pharmakritisch und machte sich nicht immer Freunde. 1997 gingen 19 Unternehmen der Pharmaindustrie juristisch gegen die Veröffentlichung vor. Der Arzneiverordnungs-Report konnte daraufhin erst erscheinen, nachdem die betreffenden Passagen geschwärzt worden waren.

Foto: AOK-Mediendienst

Hauptkategorie: Gesundheitspolitik
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Arzneimittel , Ärzte , Gesundheitssystem , GKV-Spitzenverband , Krankenhäuser , Krankenkassen , Pharma

Weitere Nachrichten zum Thema Arzneimittelkosten

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin