Gesünderes Leben: Wie wir uns mit Self-Nudging selbst überlisten können

Kuchen oder Obst - Oft entscheiden wir uns für die ungesündere Variante, obwohl wir es eigentlich nicht wollen – Foto: ©Pormezz - stock.adobe.com
Der Griff ins Süßigkeiten-Regal, stundenlanges Scrollen durch Social-Media-Seiten, Binge Watching – Obwohl wir uns immer wieder vornehmen, gesünder zu leben, ist der innere Schweinehund oft stärker als wir. So werden gute Vorsätze aufgeschoben und die Unzufriedenheit mit sich selbst wächst. Das Problem ist altbekannt, doch während der Corona-Pandemie gewinnt es für einige Menschen noch an Brisanz. Denn die soziale Kontrolle ist geringer und gemeinsame Aktivitäten mit Freunden oder der Gang ins Fitnessstudio sind nicht möglich. Helfen könnte das sogenannte Self-Nudging, eine Methode, um wieder zu mehr Struktur ins eigene Leben zu bringen. Wissenschaftler der Universität Helsinki und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung haben dazu nun konkrete Tipps gegeben.
Self-Nudging (deutsch: sich selbst anstupsen) ist nicht nur ein Modewort. Die verhaltenstherapeutische Methode kann tatsächlich dazu verhelfen, der „Aufschieberitis“ Herr zu werden und zu einem gesünderen Lebensstil zu kommen – das zeigen zumindest Untersuchungen. Wie das konkret funktionieren kann, haben nun Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, und Samuli Reijula, Philosoph an der Universität Helsinki, im Journal „Behavioural Public Policy“ vorgestellt.
Wissenschaftler zeigen Self-Nudging-Methoden auf
Menschen haben biologische, psychologische und soziale Schwachstellen, die zum Beispiel auch Unternehmen in der Werbung oder bei der Gestaltung von Apps oder Produkten ausnutzen. Das führt dazu, dass wir uns oft für die kurzfristig bequemere, genussvollere oder attraktivere Option entscheiden anstatt für die, die langfristig besser für uns ist. Mit dem sogenannten Self-Nudging könne jeder seine unmittelbare Umgebung so verändern, dass gewünschte Entscheidungen leichter fallen, so die Autoren des aktuellen Berichts.
Die Forscher stellen die Self-Nudging-Werkzeuge in vier Kategorien vor und geben gleichzeitig Beispiele dafür:
- Erinnerungen und Hinweise für sich selbst platzieren, zum Beispiel das Foto eines Apfels an der Kühlschranktür oder die Jogging-Schuhe vor dem Bett.
- Den Entscheidungen einen anderen Rahmen geben (Framing): In dieser Kategorie könnte man beispielsweise die Entscheidung zwischen Joggen und Nichtjoggen auch als eine Entscheidung zwischen Gesundheit oder Krankheit im Alter sehen oder jede Treppe als eine Gelegenheit willkommen heißen, die Lebenserwartung etwas zu erhöhen.
- Die Zugänglichkeit zu Dingen, die schaden können, verringern und Hürden einbauen oder umgekehrt, die Dinge, die man will, einfach machen. Das kann beispielsweise das Ändern der Voreinstellungen in elektronischen Geräten sein oder, die Benachrichtigungen von Social-Media-Apps auszuschalten.
- Druck und Selbstverpflichtung mithilfe von sozialen Verträgen aufbauen. Denkbar wäre hier, sich gegenüber Freunden zu einer Spende an einen Verein oder eine Partei zu verpflichten, die man wirklich nicht mag, wenn man beispielsweise die Frist zur Abgabe einer Arbeit nicht einhält.
Wir stehen ständig in inneren Verhandlungen
„Wir alle haben in unseren Köpfen und Körpern verschiedene Bedürfnisse und Wünsche, die ständig miteinander in Verhandlung treten. Self-Nudging kann dabei helfen, bewusster mit diesen inneren Verhandlungsprozessen umzugehen. So kann mit ganz praktischen Werkzeugen die Selbsterkenntnis gefördert werden“, so Samuli Reijula von der Universität Helsinki.
Das Self-Nudging macht sich die Forschung zum Nudging zunutze, das in der Psychologie, der Verhaltensökonomie und der Politik in den letzten Jahren an Popularität gewonnen hat. Um Menschen zu gesünderen und rationaleren Entscheidungen zu bewegen, soll ohne Verbote oder finanzielle Anreize das Verhalten von Menschen in eine gewünschte Richtung gesteuert werden. Dennoch ist Nudging unter Wissenschaftlern nicht unumstritten.
Staat und Industrie nutzen Nudging-Methoden schon lange
„Beim Nudging gibt es immer ein Informationsgefälle. Wenn zum Beispiel der Staat Nudging einsetzt, bestimmt er das Verhalten der Bürger, indem er entscheidet, was gut für sie ist und sie mit Maßnahmen in diese Richtung stupst. Die Bürger wissen manchmal nicht mal, dass oder wie sie genudged werden. Die Gefahr des paternalistischen und manipulierenden Staats steht im Raum“, erklärt Ralph Hertwig vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Zudem könne die Politik dadurch nur Veränderungen im öffentlichen Raum erreichen, obwohl viele Entscheidungen im privaten Raum gefällt werden.
Ein typisches Beispiel für einen Nudge ist die Platzierung von Obst auf Augenhöhe an der Kasse von Mensen und Schulkantinen, während der Kuchen in einer hinteren, schwer erreichbaren Ecke versteckt wird. Da die Politik um die langfristig gesundheitsschädliche Wirkung von der angeborenen Lust auf Süßes weiß, könnte sie durch die Veränderung der Essensplatzierung in öffentlichen Mensen die Entscheidungen der Menschen beeinflussen. Doch schon beim Abendessen zu Hause kommen diese Nudges nicht mehr an.
Mit Self-Nudging die Selbstkontrolle zurückgewinnen
Mit Self-Nudging lässt sich sowohl das Problem des Informationsgefälles als auch die Unzugänglichkeit des privaten Raums umgehen. Somit erkennt der Mensch für sich selbst, welche Faktoren in der Umgebung seine Selbstkontrolle auf die Probe stellen, und kann sich die gleichen Prinzipien, wie sie beim Nudging im öffentlichen Raum verfolgt werden, zunutze machen. So könnte er beispielsweise entscheiden, Süßigkeiten in der eigenen Küche ganz hinten im obersten Küchenregal aufzubewahren.
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